Kamera-Krieg: Deshalb haben Smartphones immer mehr Kameras

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Lange Zeit hatten Handys und später auch Smartphones eine Kamera. Viel Zeit haben Hersteller damit verbracht, aus dieser einen Kamera das Maximum herauszuholen. Bis HTC als erster Unternehmen zwei Kameras in ein Gerät eingebaut hat. Danach sollte nichts mehr sein wie vorher. Heute gibt es Smartphones mit bis zu sechs Kameras. Doch warum? Und wohin soll das noch führen?
Nokia 9 PureView 5-Kamera-Smartphone von hinten

Wer Ende der 90er Jahre ein Handy hatte, kann sich vermutlich auch an die Einführung von Mobiltelefonen mit Kamera erinnern. Als man dachte, das Handy ist mit seinem Farbdisplay und polyfonen Klingeltönen zu Ende entwickelt, brachte ein finnisches Unternehmen 2002 das Nokia 7650 in den Handel. Es war eines der ersten Handys auf dem deutschen Markt, das eine Digitalkamera an Bord hatte. Die Auflösung: 480 x 640 Pixel (VGA). In den folgenden Jahren wurde die Kamera im Handy zunehmend wichtiger. Hersteller verbesserten im Laufe der Zeit vor allem die Sensoren. Fotos wurden detailgetreuer, rauschärmer, besser. Um das Jahr 2010 setzte der Pixel-Krieg ein. Hersteller übertrumpften sich gegenseitig mit Kameras, deren Sensoren immer höhere Pixelzahlen erreichten. Den Höhepunkt erreichte er mit dem Nokia 808 PureView. Das Smartphone bot atemberaubende 41 Megapixel.

3D statt Bokeh: die ersten Smartphones mit Dual-Kamera

Irgendwann jedoch waren die Kameras so gut, dass es egal war, ob das Bild 8 oder 40 Megapixel groß war. Der Pixelkrieg ebbte ab und hohe Zahlen hinsichtlich der Kameraausstattung waren fortan kein Verkaufsargument mehr. Hersteller begannen zu experimentieren. Mit einer zweiten Hauptkamera. HTC preschte vor und brachte 2011 mit dem Evo 3D eines der ersten Handys mit Dual-Kamera auf den Markt. Dabei handelte es sich jedoch, wie der Name des Modells bereits andeutet, um eine 3D-Kamera. Fotos und Videos, die der Nutzer aufnahm, ließen sich anschließend ohne Hilfsmittel, wie einer speziellen Brille, auf dem Display ansehen. Im Prinzip funktionierte das ähnlich wie Wackelbilder.

Der Markt jedoch hatte damals kein Interesse an Smartphones mit 3D-Kameras. So schnell sie kamen, so schnell verschwanden sie wieder. Bis es erneut HTC war, das drei Jahre später das HTC One (M8) mit zwei Kameras auf den Markt brachte. Die zweite Kamera diente nun aber einem anderen Zweck. Sie sammelte Tiefeninformationen, was das nachträgliche Scharf- beziehungsweise Unscharfstellen eines Motivs ermöglichte. Der Nutzer wählte erst nach dem Schießen des Fotos eine Stelle im Bild aus, die scharf sein sollte. Alles was sich davor oder dahinter befindet, wurde unscharf. Das funktionierte damals gut, aber nicht überragend.

Der Sinn einer Dual-Kamera

Bis heute jedoch sammelt eine zweite Kamera im Smartphone in der Regel Tiefeninformationen, die im Anschluss so umgerechnet werden, dass auf dem Bild ein unscharfer Hintergrund entsteht. Das funktioniert mal gut, mal weniger gut. Da, anders als bei Spiegelreflex- oder Systemkameras, die Software für die Berechnung des Bokehs verantwortlich ist, werden Übergänge zwischen Vorder- und Hintergrund vom Prozessor berechnet. Und der liegt immer wieder daneben. Das erkennt man häufig erst beim Hineinzoomen. Dann jedoch stellt man fest, dass beispielsweise Kopfhaare zum Hintergrund gezählt und unscharf abgebildet werden, obwohl sie im Fokus liegen sollten.

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Die Software wird jedoch immer besser und lernt durch künstliche Intelligenz dazu. Mit dem Bokeh-Effekt jedenfalls versuchen Smartphone-Hersteller per Software das zu erreichen, was mit Spiegelreflexkameras, einem passenden Objektiv und einer offenen Blende seit Jahrzehnten möglich ist. Wer also ein Handy mit Dual-Kamera besitzt, kann heute den von Herstellern gerne als Bokeh-Effekt bezeichneten Modus nutzen, um den Hintergrund auf Fotos verschwommen darzustellen. Einerseits. Andererseits nutzen Smartphone-Hersteller eine zweite Kamera im Handy auch für eine andere Brennweite. Die aktuelle iPhone-Reihe von Apple rund um das iPhone XS etwa, hat eine Kamera mit Normalbrennweite und ein Teleobjektiv. Somit lassen sich Objekte in der Ferne nah heranholen und ohne Verluste abbilden. Ein iPhone mit drei Kameras gibt es indes noch nicht.

Eins, zwei, drei: Es ist noch nicht vorbei

Der nächste Schritt folgte Ende 2018. Huawei brachte mit dem Huawei Mate 20 Pro das erste Smartphone mit Triple-Kamera auf den Markt. Mittlerweile haben auch Hersteller wie Samsung, LG oder OnePlus Smartphones mit diesem Kameraprinzip entwickelt. Zu einer Normal- und Telebrennweite kam eine Ultraweitwinkelkamera dazu. Nutzer eines Samsung Galaxy S10, Huawei P30 Pro oder OnePlus 7 Pro können nun von einem Standpunkt aus ein Motiv mit drei unterschiedlichen Zoomstufen fotografieren. Ohne näher herangehen oder sich vom Motiv entfernen zu müssen. Und das verlustfrei. Das bedeutet, dass die Fotos eine hohe Auflösung besitzen und Details scharf abgebildet werden egal mit welchem Objektiv man fotografiert oder filmt. Mit dem P30 Pro geht Huawei sogar noch einen Schritt weiter und verlängert die Brennweite des Teleobjektivs. Während das Mate 20 Pro ein 83-mm-Objektiv besitzt, hat die Telekamera des Huawei P30 Pro eine Brennweite von 125 mm.

Übrigens: Es gibt nicht nur High-End-Smartphones mit drei oder gar vier Kameras. Samsung zum Beispiel hat mit dem Galaxy A9 ein Gerät im Portfolio, das vier Objektive besitzt und zum Redaktionsschluss für unter 350 Euro erhältlich war.

Digitalzoom vs. optischer Zoom

Wer auf einem Gerät mit Dual- oder Triple-Kamera in der Kamera-App hineinzoomt und keine der einzelnen Kameras bei der Smartphone-Fotografie nutzt, sondern sich mit dem Zoom irgendwo dazwischen befindet, erhält ein qualitativ schlechteres Bild. Denn hierbei errechnet die Software aus den Fotos zweier Kameras einen Mittelwert. Und das funktioniert bei Weitem nicht so gut, wie bei einem Kameraobjektiv, in dem Linsen und Linsenpaare gegeneinander verschoben werden um zu Zoomen.

Deshalb haben Smartphones immer mehr Kameras

Nun weißt du, warum viele Smartphones heute mehr als nur eine Kamera haben. Erstens: Es lassen sich bessere Ergebnisse hinsichtlich eines unscharfen Hintergrundes erzielen. Man bekommt den Bokeh-Look, den ansonsten nur Profi-Fotografen mit ihren Kameras und Objektive bekommen. Zweitens: Man hat mehr Möglichkeiten. Während Fotografen bei ihren Kameras Objektive wechseln oder große Zoomobjektive benutzen können, um vom Weitwinkel bis zum Tele alles abbilden zu können, ist der Platz in einem Smartphone begrenzt. Eine Kamera, die mehrere Zentimeter aus dem Gehäuse ragt, ist keine Option. Das Galaxy K Zoom etwa bot etwas Vergleichbares, war aber alles andere als ein Verkaufsschlager. Daher kommen mehrere einzelne Kameras zum Einsatz. So lassen sich viele Brennweiten abdecken.

All das ging früher nicht. Dazu mussten erst andere Grundlagen geschaffen werden. Etwa Prozessoren, die komplexe Berechnungen innerhalb weniger Zehntelsekunden anstellen können. Oder bezahlbarer Arbeitsspeicher in einem so kompaktem Maß.

Single, Triple, Penta: der neue Pixelkrieg

Mehr Kameras in Smartphones geben dem Nutzer mehr Möglichkeiten. Doch das ist nicht der alleinige Grund, warum die Anzahl an Objektiven zunimmt. Waren es einst Megapixel, die als Verkaufsargument dienten, ist es heute die Anzahl der Kameras. HMD Global etwa hat dieses Jahr das Nokia 9 PureView in den Handel gebracht. Mit fünf 12-Megapixel-Sensoren und einer Blendenzahl von f/1.8 bei allen Objektiven will das Unternehmen der Konkurrenz das Fürchten lehren. Doch HMD Global geht einen etwas anderen Weg. Die fünf Kameras haben nämlich keine unterschiedlichen Brennweiten. Vielmehr werden bei jedem Foto, das der Nutzer mit dem Nokia 9 PureView aufnimmt, alle fünf Kameras aktiv. Dabei nehmen zwei von ihnen in Farbe auf, die drei anderen arbeiten Monochrom. Sie sollen unter anderem für Schärfe und Detailreichtum sorgen. Der Zoom jedoch erfolgt ausschließlich digital.

Google indes macht beim Kamera-Krieg nicht mit. Beim Pixel 3a XL etwa setzten die Amerikaner weiterhin auf eine Single-Kamera. Und dennoch schießen Nutzer mit dem Gerät hervorragende Fotos. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es bei Smartphone-Kameras heute längst nicht mehr nur auf die Anzahl der Kameras ankommt. Vielmehr ist es die Software gepaart mit künstlicher Intelligenz, die in Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen wird.

Eine Kamera, die keine Fotos macht

Seit einiger Zeit gesellt sich eine weitere Kamera auf den Rücken der Smartphones, die jedoch keine Fotos aufnehmen kann. Die Rede ist von der ToF-Kamera. ToF steht für Time of Flight. Dabei handelt es sich um ein Lichtpuls-Messverfahren, bei dem eine Szene mittels Infrarotlicht ausgeleuchtet wird. Die Optik der Kamera sammelt das ausgesendete Licht wieder ein und schickt es an den Sensor, der die Zeit misst, die das Licht bis zum Objekt und wieder zurückgelegt hat -für jedes Pixel einzeln. Somit kann beispielsweise das Huawei P30 Pro Entfernungen viel genauer bestimmen – was dem Bokeh-Effekt und der Schärfe zugutekommt.

Ein Blick in die Zukunft: Das Ende der Kamerastange ist noch nicht erreicht

Ob Nah- oder Teleaufnahmen, ob mit Bokeh oder durchgehender Schärfe, ob Tag oder Nacht: Smartphone-Kameras sind heutzutage wirklich gut. Sie haben die Kompaktkamera unlängst obsolet gemacht. Die Qualität einer DSLR oder DSLM erreichen sie aber nicht. Momentan zumindest. In Zukunft dürften Hersteller noch die eine oder andere Kamera mehr in ihre Smartphones einbauen. Vor allem im Ultra-Telebereich ist noch viel möglich. Auch ein spezielles Fisheye- oder Makro-Objektiv sowie experimentelle Lomografie-Objektive, bei denen technische Fehler erwünscht sind, würden neue Möglichkeiten eröffnen. Vielleicht sieht das Handy bald schon so aus wie die Kompaktkamera Light L16.

Mehrere Smartphones mit vielen Kameras
Light Konzepte: Mehr Kameras für Smartphones

Apropos: Sony kooperiert seit Kurzem mit Light. Schwierig werden dürfte es mit einem Lensbaby-Objektiv. Aber wer weiß, was sich Smartphone-Hersteller noch einfallen lassen. Denn so, wie wir das Handy heute kennen, ist es mit Sicherheit noch nicht zu Ende entwickelt.

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3 KOMMENTARE

  1. Nutzerbild julien

    Das ist ja mal wieder sehr interessant. Wie ein dicker Elefant.

    LG
    Euer Vogulius

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  2. Nutzerbild Dirk

    «[Smartphone-Kamera:] Die Qualität einer DSLR oder DSLM erreichen sie aber nicht. Momentan zumindest.»

    Nein, werden diese nie, denn die Physik lässt sich nicht austricksen: Pixel-Pitch, Rauschverhalten und Linienauflösung. Technische Dilettanten, die Artikel schreiben.

    Antwort
  3. Nutzerbild Manfred Schuermann

    Die möglichen Kamerakonzepte sind längst alle bei diversen Modellen im Markt durchgespielt. Einige Modelle verfügen auch über eine verblüffend gute Bildstabilisierung für Videos.
    Das grösste Handicap ist für entsprechende Nutzer das Halten der Kamera bei Videoaufnahmen. Da hilft nur ein schlanker Stick, der sich auch sehr bequem mitführen lässt. Glücklicherweise gibt es so etwas…
    Die Ka,eras selbst bedürfen keiner Leistungssteigerung mehr. Denn hauptsächlich sind die Smartphones kleine Hochleistungscomputer mit herausragendenKommunikationsfähigkeiten. Bald werden sie – enorm ressourcensparend – auch das Herz für Tischsysteme mit Tatstatur, Maus und großem Monitor oder per Einschub-Connection für Laptops abgeben.
    Mit freundlichen Grüßen

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