Akkuexperte: „Es wird noch lange Zeit einen Verbrennungsmotor geben“

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Warum bevorzugen so viele Menschen den Verbrenner? Was ist die "Reichweitenangst" und was können Akkuhersteller dagegen tun? Ist unser Stromnetz für E-Autos ausgelegt? Wir haben mit Sascha Kelterborn, ein Experte aus dem Batterie- und Automobilumfeld, gesprochen und erstaunliche Antworten bekommen.
Akkuexperte: „Es wird noch lange Zeit einen Verbrennungsmotor geben“
Akkuexperte: „Es wird noch lange Zeit einen Verbrennungsmotor geben“Bildquelle: Ernest Ojeh / Unsplash

inside digital: Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, den Verbrennungsmotor aus den Köpfen der Menschen zu schaffen?

Sascha Kelterborn: Allein in Deutschland sind im Januar 2023 knapp 60 Millionen Pkw gemeldet. Verglichen mit 1980 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Betrachten wir die Situation weltweit, wirkt die Zunahme von Autos in Deutschland allerdings fast niedrig. In China beispielsweise stieg die Zahl der Pkw allein zwischen 2013 und 2018 um rund 100 Millionen! 

Und damit ist China nicht allein: In zahlreichen sogenannten „neuen Verbraucherländern“ steigt der Autobestand seit rund 30 Jahren besonders stark an. Ich glaube, es wird noch lange Zeit einen Verbrennungsmotor geben, gegebenenfalls wird dieser dann mit eFuel, auch bekannt als synthetische Kraftstoffe betrieben. Es gibt neben der Batterie, also dem Elektroantrieb, einige weitere alternative Antriebskonzepte, wie zum Beispiel Wasserstoffantrieb, LPG, Erdgas, Bioethanol, Biodiesel und Pflanzenöl.

Mit E-Fuels sollen Verbrenner auch nach dem Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 noch fahren dürfen. Technisch ist das Betanken von Autos mit E-Fuels schon heute kein Problem, rechtlich allerdings schon. Denn bisher war die Beimischung von E-Fuels auf 26 Prozent begrenzt. Diese Begrenzung wurde nun aufgehoben.

„E-Fahrzeuge sind zu teuer“

inside digital: Ist Ihrer Meinung nach 2030 / 2035 wirklich Schluss und wird es noch lange Verbrenner geben?

Sascha Kelterborn: Nach dem Jahr 2035 dürfen in den EU-Staaten nur noch Pkw neu zugelassen werden, die nicht mit Diesel oder Benzin fahren. Das hat die EU am 28. März 2023 endgültig beschlossen. Mit E-Fuels sollen Verbrenner auch nach dem Aus ab 2035 noch fahren dürfen.

inside digital: Warum fremdeln so viele Menschen noch mit den E-Autos und wie kann sich das ändern? 

Sascha Kelterborn: E-Fahrzeuge sind zu teuer. Die Ladeinfrastruktur muss weiter ausgebaut werden. Das Gefühl „Tanken“ und in 10 Minuten geht es weiter, fehlt. E-Autos gelten noch immer in den Köpfen der Bevölkerung als „Kurzstreckenfahrzeuge“, was der Realität aufgrund größerer und leistungsfähiger Batterien längst nicht mehr entspricht. Eine wichtige Aufgabe der kommenden Jahre werde sein, die Lücke zwischen technologischem Fortschritt in der Mobilität und Akzeptanz in der Bevölkerung zu schließen.

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E-Autos: „Unsere Energieversorgung befindet sich im Umbruch“

Reichweite eines E-Autos reicht aus

inside digital: Wie können Akku-Hersteller die deutsche “Reichweitenangst” lösen?

Sascha Kelterborn: Die meisten Menschen haben „Reichweitenangst“, weil sie glauben, dass die Reichweite eines E-Fahrzeugs nicht ausreicht, um ihr Ziel zu erreichen. Schon in den Anfängen der Entwicklung von Elektroautos, als die maximale Reichweite noch nicht so beeindruckend und die Batterien teurer waren als heute, war diese Angst für die meisten Fahrer unberechtigt. Als 2010 das erste Massen-Elektrofahrzeug der Welt, der Nissan LEAF, auf die Straße kam, betrug seine maximale Reichweite etwa 175 km. 

In den letzten Jahren hat sich die Reichweite von E-Autos jedoch deutlich erhöht. Nach Angaben des U.S. Department of Transportation / Federal Highway Administration fährt der durchschnittliche amerikanische Bürger 62 Kilometer pro Tag. In Europa ist die täglich zurückgelegte Strecke je nach Land unterschiedlich, beträgt aber im Allgemeinen weniger als die Hälfte als in den USA. Die Deutschen, die in Europa am weitesten mit dem Auto fahren, legen im Durchschnitt täglich 19 Kilometer zurück. Die eigentliche Frage lautet also: Wie viel Reichweite brauchen Sie? Auf der Grundlage dieser aktuellen Statistiken würde selbst der Nissan LEAF von 2010 den täglichen Bedarf der meisten Pendler übertreffen. Dennoch bieten die heutigen E-Fahrzeuge viel mehr Spielraum. 

Wie weit kommt man mit einem Elektroauto? Laut der Electric Vehicle DataBase liegt die durchschnittliche Reichweite von E-Fahrzeugen derzeit bei komfortablen 315 Kilometern. Dies ist natürlich von Modell zu Modell unterschiedlich. Im Vergleich hat der aktuelle Nissan LEAF eine Reichweite zwischen 270 – 385 Kilometern, während Tesla eine Reichweite zwischen 491 und 614 Kilometern, je nach Modell, bietet oder Mercedes beziehungsweise BMW zwischen 626 und 770 Kilometern mit der neusten Technologie erreichen.

Wasserstoff oder doch E-Auto?

inside digital: In welchen Bereichen hat der Wasserstoffantrieb eine Zukunft?

Sascha Kelterborn: Wie Strom ist Wasserstoff kein Primärenergieträger, der einfach irgendwo abgebaut und verwendet werden kann. Wasserstoff muss zuerst erzeugt werden und dafür braucht es Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas oder auch Biomasse und Wasser. Es muss also Energie von außen zugeführt werden. Dieser Prozess, der als Power-to-Gas bezeichnet wird, ist energieintensiv und teuer und im übrigen auch entscheidend für die Klimabilanz des Gases: Gewinnt man Wasserstoff so wie derzeit meist üblich per Dampfreformierung aus Erdgas, wird er als „grau“ bezeichnet – bei der Produktion von einer Tonne Wasserstoff werden rund zehn Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Wird er hingegen aus Wasser mit regenerativ erzeugtem Strom abgespalten, gilt er als „grün“. 

Besonders nachhaltig ist die Herstellung per Elektrolyse mit überschüssigem Ökostrom; also Strom aus Wind und Sonne, der aufgrund des zeitlichen Auseinanderfallens von Stromproduktion und Strombedarf sonst nicht genützt werden könnte – dabei ist der gesamte Produktionspfad nahezu vollständig emissionsfrei. Ebenso emissionsfrei, aber teuer lässt sich Wasserstoff aus einer Reihe chemischer Reaktionen mit Wasser gewinnen, etwa aus der Reaktion von Alkalimetallen und Wasser. Bis 2030 ist ein starker, stufenweiser Ausbau der Elektrolysekapazitäten vorgesehen, anschließend soll Wasserstoff weiter an Bedeutung gewinnen und bis 2050 in großem Maßstab in Sektoren eingesetzt werden, in denen Dekarbonisierung schwierig ist.

Wasserstoff gewinnt als Energieträger, insbesondere bei südkoreanischen und japanischen Autoherstellern an Bedeutung. Aus gutem Grund: Fahrzeuge, die hohe Lasten mit hoher Geschwindigkeit über weite Strecken transportieren, sind rein batterieelektrisch nur unter hohem technischem Aufwand und großen Kosten zu betreiben. Sie benötigen einen Energieträger mit höherer Energiedichte, der auch schnell wieder nachgetankt werden kann. Infolgedessen rechnet das „Hydrogen Council“ schon 2030 mit weltweit bis zu 15 Millionen Autos und 500.000 Lkw mit Wasserstoff-Antrieb. Alle diese brauchen auch eine Batterie, die als Puffer dient und Lastspitzen abfedert.

E-Autos: So gut sind die Akkus in Wirklichkeit

inside digital: Wie sieht der nächste technologische Schritt in der Akkutechnik aus?

Sascha Kelterborn: Der Weg von einer Idee über eine Kleinserie bis hin zur Serienreife in Automobilen ist lang. Auch der Lithium-Ionen-Akku wurde lange weiterentwickelt, bis er marktreif und millionenfach einsetzbar war. Der kürzlich verstorbene Physiker und Nobelpreisträger John B. Goodenough entdeckte 1980 die besondere Eignung von Lithium als Kathodenmaterial. 

Sony startete zehn Jahre später, also vor über 30 Jahren, die erste kommerzielle Anwendung in einer Videokamera. Darüber hinaus sind die Anforderungen an Akkus in einem Pkw deutlich höher als bei Batterien der Unterhaltungselektronik. Aber bei beiden geht es um Lebensdauer, Sicherheit, Leistungsfähigkeit – und natürlich auch um Kosten. Wenn ein Bauteil mehrere Hunderttausend Mal produziert wird, potenzieren sich Centbeträge. Die meisten Forschungsprojekte beschäftigen sich damit, die bereits vorhandene Technologie weiter zu optimieren. Einige andere konzentrieren sich auf Feststoffakkus, die als das „nächste große Ding“ in der Batterietechnologie angesehen werden – doch hier hat die Wissenschaft noch einen längeren Weg vor sich. Im Wesentlichen werden die nächsten Schritte sein, den Akku nachhaltiger, kostengünstiger, weniger „brennbar“, leistungsfähiger im Winter und besser schnellladefähig zu gestalten.

inside digital: Inwieweit werden sich die Reichweiten bis 2030 erhöhen?

Sascha Kelterborn: In Zukunft könnte die Schnellladefähigkeit des E-Autos wichtiger werden als die reine Reichweite. Vorausgesetzt, es sind genügend Schnellladestationen vorhanden. Schnellladeakkus gibt es heute schon.

E-Autos sind zu 23 Prozent besser als Verbrenner

inside digital: Viele kritisieren die aktuellen Akkus als umweltschädlich – Welche Verbesserungen stehen hier in der Zukunft an?

Sascha Kelterborn: Neben dem Fahrrad gilt das Elektroauto als grünes Fortbewegungsmittel schlechthin. In den meisten Nachhaltigkeitskonzepten zur Erreichung der Klimaziele fährt das E-Mobil vorneweg. Wird seine Batterie auch noch mit Ökostrom aufgeladen, ist seine Umweltbilanz während der Nutzung perfekt. Wenn da nur nicht der Akku, genauer: seine Produktion und die dafür benötigten Rohstoffe wären. Bis in allen Belangen umweltfreundliche Akkus produziert werden, wird noch Zeit vergehen. Es gibt diverse Projekte, die Hoffnung auf klimaneutrale Batterien durch die Dekarbonisierung der Akkuherstellung machen. 

Doch was heißt klimaneutral: Diese sogenannte Netto-Null-Emission ist dann erreicht, wenn zwischen dem Ausstoß von Kohlenstoff in die Atmosphäre und dessen Aufnahme ein Gleichgewicht besteht. Deutschland arbeitet gesamtstaatlich an dem Ziel, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein. Grundsätzlich hängt die Nachhaltigkeit von Fahrzeugen mit Elektromotor von folgenden Faktoren ab: Herstellung und Herstellungsort des Akkus, Lebensdauer des Fahrzeugs, Strommix beim Aufladen, Aufbau der Ladeinfrastruktur. Ein E-Mobil gemessen an den Lebenszyklen hat gegenüber einem Dieselfahrzeug einen Vorteil von 23 Prozent, gegenüber dem Benziner sogar von 30 Prozent bei der Emission klimaschädigender Gase – auch ohne klimaneutrale Batterie. Forscher der Universität der Bundeswehr München bescheinigen den Stromern ein Einsparpotenzial bei Treibhausgasen von 89 Prozent verglichen mit herkömmlichen Fahrzeugen. 

Laut dem ADAC hat ein Elektroauto den von der Akkuherstellung verursachten Emissionsnachteil immerhin nach 50.000 bis 100.000 gefahrenen Kilometern wieder ausgeglichen. Klimaneutrale Batterien auch durch Recycling. Circular Economy (Kreislaufprozess), Einsatz von recyceltem Batteriematerial im Produktionsprozess werden die Umweltbilanz verbessern. Die Natrium-Ionen-Batterie könnte ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit sein. Es gibt viele Ideen und Konzepte, die Nachhaltigkeit der Batterie zu verbessern. Hier wird in den nächsten Jahren viel passieren.

E-Autos: Bewegen wir uns in die richtige Richtung?

inside digital: Halten Sie die aktuelle Entwicklung der Infrastruktur für den richtigen Weg?

Sascha Kelterborn: Bereits im Oktober 2022 hatte die Bundesregierung beschlossen, die Ladeinfrastruktur in Deutschland auszubauen. Ziel ist ein flächendeckendes und nutzerfreundliches Netz aus einer Million öffentlich zugänglichen Ladepunkte in Deutschland im Jahr 2030. Je schneller der Ausbau vorangeht, umso schneller findet der Wechsel von Verbrenner zu Batterie beziehungsweise alternativen Antriebskonzepten statt. Der Strombedarf bis 2030: Für das Ziel von 15 Millionen Elektrofahrzeugen im Pkw-Bereich werden im Jahr 2030 rund 50 Terawattstunden Strom benötigt. 

Insgesamt geht die Bundesregierung bis zum Jahr 2030 von einem Anstieg des Bruttostromverbrauchs in Deutschland auf 680 bis 750 TWh aus. Um die Energiewende in Deutschland zu meistern, bedarf es eines fundamentalen Umbaus unserer Energieinfrastruktur. Denn unsere Energieversorgung befindet sich im Umbruch: Durch den Umstieg auf erneuerbare Energien, gehen wir auch zu einer volatilen und dezentralen Stromversorgung über und die stellt unsere Netze vor neue, komplexe Herausforderungen. Sie erfordert es, Verbrauch, Erzeugung und Netze intelligent miteinander zu verknüpfen, um weiterhin eine resiliente Strominfrastruktur zu gewährleisten. 

Ein wichtiger Punkt beim Ausbau der neuen Infrastruktur werden deshalb die intelligenten Netze, die sogenannte Smart Grids, spielen. Als Smart Grids, übersetzt intelligente Stromnetze, bezeichnet man ein modernes Stromnetz, das mithilfe von Technologie und Automatisierung den Stromfluss effizienter, zuverlässiger und sicherer gestaltet. Es verknüpft alle Komponenten eines Energiesystems miteinander, also Stromerzeuger, Verbraucher, Speicher und das Stromnetz selbst, und schafft einen ständigen Austausch zwischen ihnen. Durch den Einsatz digitaler Kommunikations- und Informationstechnologien, können Smart Grids den Strombedarf und die Stromerzeugung in Echtzeit aufeinander abstimmen und dynamisch auf Spitzenlasten, Wetterprognosen oder Störungen reagieren. Die datengetriebene Steuerung gewährleistet so eine stabile und zuverlässige Stromversorgung.

E-Autos: Mehr Lademöglichkeiten

inside digital: Wie könnten Ihrer Meinung nach neue Alternativen zu aktuellen E-Ladesäulen aussehen?

Sascha Kelterborn: Öffentliche Ladestation – auch Schnelllader –, heimische Wallbox oder Steckdose… Den automatisierten Tankwart „Carla“, den VW gemeinsam mit dem Robotikunternehmen Kuka auf dem Genfer Autosalon im Frühjahr vorgestellt hat. Als eine Art Ladekabel-Arm auf Rollen könnte der Automat künftig beispielsweise in Parkhäusern Autos an Hochleistungs-Ladesäulen anschließen. 

Anders als das kabellose Laden mit Roboterhilfe dürfte das induktive Laden für Pkw in absehbarer Zeit realisierbar sein. Die Königsdisziplin des kabellosen Ladens ist die induktive Straße. Elektroautos können dort während der Fahrt mit Strom versorgt werden, nervige Tankstopps entfallen und die Batterien der Fahrzeuge könnten angesichts des permanenten Nachschubs deutlich kleiner ausgelegt werden. Dazu müsste nicht unbedingt die ganze Straße zum elektromagnetischen Feld ausgebaut werden, stattdessen würde es möglicherweise reichen, alle paar Kilometer eine Induktionsschleife in die Fahrbahn zu integrieren.

inside digital: Wird es mehr Power Swap Stationen geben?

Sascha Kelterborn: Das Wechelsakku-System ist an sich eine tolle Idee, vorausgesetzt man fährt ein kompatibles Auto, in dem Fall klappt es nur mit einem NIO. Man ist damit also in ein Ökosystem eingebunden, von dem nur NIO-Fahrzeuge profitieren. Das erinnert ein bisschen an Apples geschlossenes Ökosystem. Nachteil: In Deutschland befindet sich das Netzwerk der Swap Stationen erst im Aufbau und noch gibt es weniger als zehn Stationen. In der Regel muss man also weiterhin ganz normal an einen herkömmlichen Lader fahren. Ich sehe dieses nicht als die Zukunft an, die Investitionen sind relativ hoch, da ich immer genügend Batterien vorhalten und lagern muss. 

inside digital: Vielen Dank für das Gespräch.

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