Deutschland hat endlich ein eigenes Digitalministerium. Ende April wurde Karsten Wildberger (CDU) als erster Digitalminister vorgestellt. Seit dem 13. August, also nach 100 Tagen im Amt, lässt sich nun ein erstes Fazit ziehen: Können wir Digitalisierung und sind auf dem Weg zur KI-Hochburg – oder setzen wir den digitalen Karren weiterhin an die Wand?
Hurra, wir haben ein Digitalministerium
Das neue „Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung“ (BMDS) bündelt Aufgaben aus fünf Ministerien und dem Kanzleramt – eine Mammutaufgabe. Klar, viele von uns waren erleichtert, dass dieses Versprechen nun eingelöst ist. Aber ein komplett neues Ministerium braucht mehr Zeit als 100 Tage, um sich zu sortieren.
Fangen wir direkt mit dem Ministerium selbst an, denn die Regierung will Deutschland ja nicht nur nach allen Regeln der Kunst durch-digitalisieren, sondern möchte das über das neu geschaffene Bundesministerium bewerkstelligen. Hier sollten wir Wildberger und seinen Leuten über die ersten 100 Tage hinaus vermutlich ein wenig mehr Welpenschutz gewähren.
Mit der Bildung hielt die Regierung ein Versprechen ein. Lasst uns kurz draufschauen, was sonst noch funktioniert hat, und wo es noch hakt:
- Ein neues Organigramm sorgt endlich für klare Zuständigkeiten.
- Der Bundestag hat dem NOOTS-Staatsvertrag zugestimmt: Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen müssen Daten künftig nur einmal bei Behörden angeben, die sich dann automatisch austauschen – ein großer Schritt beim Bürokratieabbau.
Wo es noch hakt
- Kompetenzgerangel mit dem neu ausgerichteten Forschungsministerium (Dorothee Bär, CSU) und dem Wirtschaftsministerium (Katherina Reiche, CDU) kostet beim Thema KI wertvolle Zeit.
- Die Open Source Business Alliance bemängelt fehlende Initiativen für digitale Souveränität.
- Viele Ankündigungen, wenig Umsetzung – Strukturen müssen sich erst festigen.
Letztlich zählt, dass vielen Worten, die in die Richtung zielen, bislang noch zu wenige Taten gefolgt sind. Aber wie gesagt: Vielleicht muss man dem Ministerium etwas Zeit gewähren, damit sich die Strukturen festigen können.
Schöne neue (digitale) Welt
Hightech Agenda
Jüngst wurde die sogenannte Hightech Agenda unter Bundesministerin Dorothee Bär angestoßen. Mit dieser Agenda soll Deutschland wieder ein Markenzeichen für Innovation werden. Gefördert werden sollen in diesem Rahmen folgende sechs Schlüsseltechnologien:
- Künstliche Intelligenz
- Quantentechnologien
- Mikroelektronik
- Biotechnologie
- Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung
- Technologien für die klimaneutrale Mobilität
Das Ministerium will Wissen mit dieser Bündelung schneller in marktfähige Produkte bringen, Bürokratie abbauen, Finanzierungsmöglichkeiten verbessern, Fachkräfte gewinnen und stärker mit Partnern in Europa und der Welt zusammenarbeiten.
Mein erstes Fazit: Die Agenda – und das Ministerium dahinter – ist mit ordentlich Geld ausgestattet, um viele Projekte anzuschieben. Im großen Stil wurden neue Professuren ausgeschrieben, und erste Hochschulen melden Erfolge bei der Nachwuchsgewinnung. Doch bislang wird nur ein Bruchteil der Mittel tatsächlich abgerufen. Heißt: Es gibt viele Ankündigungen und Versprechen, aber noch wenig, was wirklich Fahrt aufgenommen hat.
Viele Vorhaben stecken noch in der Konzept- oder Ausschreibungsphase. Wenn Deutschland bei KI wirklich eine Spitzenrolle einnehmen will, braucht es jetzt richtig Tempo – das man in den ersten 100 Tagen allerdings noch vergeblich sucht.
Glasfaser und Mobilfunk – endlich Tempo?
Deutschland diskutiert schon seit 1981 über Glasfaser. Funklöcher sind zwar seltener, aber nur 47 Prozent nutzen laut der BMDS-Kampagne (#CheckDeinNetz) schon 5G. Mit der Reform des Telekommunikationsgesetzes gilt Glasfaser- und Mobilfunkausbau nun als „überragendes öffentliches Interesse“.
Bedeutet praktisch: Bei allen politischen Entscheidungen muss jetzt immer mitgedacht werden, wie sich diese auf schnelles Internet auswirken. Angepeilt hat die Regierung bundesweite Gigabit-Abdeckung bis 2030.
Das Justizministerium kann Digitalisierung!
Ausgerechnet im Justizbereich gibt’s schon die ersten greifbaren Fortschritte. Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sich Online-Käufe künftig mit nur einem Klick widerrufen lassen sollen – deutlich bürgerfreundlicher als bisher. Notarielle Beurkundungen sollen vollständig digital möglich sein (per qualifizierter Signatur oder direkt auf dem Touchscreen), und auch die Zwangsvollstreckung wird modernisiert: Vollstreckungsaufträge und Vollmachten sollen bald elektronisch eingereicht werden können. Bis Ende 2026 ist außerdem eine bundesweite Justizcloud geplant.
Ein erstes Zwischenfazit: Durchwachsen, aber nicht hoffnungslos
Du kennst mich – wenn es was zu kritisieren gibt, bin ich schnell dabei. Hier aber nur mit Einschränkungen: Es gibt echte Lichtblicke (Justiz, NOOTS-Staatsvertrag, Fortschritte beim Netzausbau). Und dem neuen Digitalministerium sollte man auch etwas Zeit geben, sich zu sortieren.
Genau da liegt jedoch das Problem. Noch immer gibt es zu viele Zuständigkeitskonflikte und Reibereien, die die Digitalisierung ausbremsen. Es gibt gute Ansätze, noch mehr gute Ideen – aber jetzt muss Minister Wildberger liefern und ins „Machen“ kommen, wie er selbst gern sagt.
Sorgen macht hauptsächlich das Thema KI: Es gibt zwar viele Ankündigungen, aber nach 100 Tagen kaum greifbare Ergebnisse. Wichtige Innovationsfelder drohen zwischen Ministerien, Ländern, EU-Vorgaben und Kompetenzstreitigkeiten zerrieben zu werden.
Deutschland steht derzeit auf Platz 14 im DESI-Index (Grad der Digitalisierung in der EU), bei der digitalen Verwaltung sogar nur auf Platz 21. Da ist viel Luft nach oben – aber es gibt immerhin ein paar Anzeichen, dass an den richtigen Schrauben gedreht wird. Schauen wir in einem Jahr nochmal hin, was sich bis dahin getan hat.