Matthias Lorenz kam Anfang des Jahres von der österreichischen A1 zu Vodafone Deutschland – mitten in eine Phase großer Umbrüche. Die Branche steht vor der Abschaltung alter Netze, dem Ausbau neuer Infrastruktur und dem Wegfall etablierter Geschäftsmodelle wie dem Nebenkostenprivileg. Im Gespräch erklärt Lorenz, mit welcher Strategie er diesen Wandel gestalten will und warum Regionalität und Einfachheit im Fokus stehen.
Von Österreich nach Deutschland: Wo liegen die Unterschiede?
inside digital: Herr Lorenz, seit sechs Monaten sind Sie jetzt der Vodafone Privatkundenchef in Deutschland. Davor waren Sie bei A1 in Österreich. Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit bei A1 mit, dass Ihnen nun bei Vodafone hilft? Und was hat Sie am deutschen Markt in den ersten sechs Monaten besonders überrascht – positiv wie negativ?
Sowohl der österreichische als auch der deutsche Markt sind von großen Telekommunikationsanbietern dominiert, stark reguliert und besonders wettbewerbsintensiv. In Österreich sind es A1, Magenta und Drei, in Deutschland sind es sogar vier Netzbetreiber. Was beide Länder eint, ist die jeweils sehr gute Telekommunikationsinfrastruktur. Positiv sehe ich, dass dem Netzausbau nun per Gesetz überragendes öffentliches Interesse bescheinigt wird. Damit kommen wir beim Netzausbau auf die Überholspur.
Auch die Herausforderungen im Markt sind ähnlich: Die Telekommunikationsunternehmen müssen sich angesichts des Wettbewerbs transformieren und neu ausrichten. Ich setze bei der Vermarktung vor allem einen regionalen Fokus, denn bei den Menschen vor Ort ist das Netz. Im Fokus stehen zudem einfachere Tarife, klare Preisstrukturen und neue Angebote, die sich an den Kundenbedürfnissen orientieren.
inside digital: Sie zeigen auf der AngaCom neue Technik, mit denen man das Kabelnetz schneller machen kann als heute. Wann können erste Kunden außerhalb von Piloten damit rechnen – und wo liegen aktuell noch die größten Hürden im Netz und in den Haushalten?
Wir haben unser Netz in den vergangenen zwei Jahren massiv gestärkt. Mit mehr Glasfaser und durch tausende Segmentierungen. Damit erhöhen wir die Stabilität und Kapazität – eine Voraussetzung für höhere Bandbreiten. Die Netzqualität ist hoch und die Kundenzufriedenheit steigt. Die auf der AngaCom vorgestellte Technik für die sogenannten HighSplits testen wir bald im Live-Netz. Dabei geht es nicht nur um die Technologie, sondern wir sind auch gespannt, ob und wie höhere Bandbreiten von den Kunden überhaupt nachgefragt werden. Die 1000/50 Mbit/s, die wir den 25 Millionen Kabelhaushalten heute schon bieten, reichen für die meisten Anwendungen aus.
inside digital: Über Ihr Kabelnetz können Sie theoretisch 24 Millionen Kunden mit Gigabit-Datenraten versorgen. Ihre Wettbewerber tun sich schwer, die gebauten Glasfaseranschlüsse auch zu vermarkten – die Take-up-Quoten bleiben oft deutlich hinter den Erwartungen. Warum ist das so aus Ihrer Sicht? Und was lernen Sie aus Ihren eigenen Erfahrungen mit Vermarktung in den Netzen von Telekom und Deutsche Glasfaser aber auch dem eigenen Kabelnetz? Wo liegen die Unterschiede in der Vermarktung?
Kunden sehen keinen Grund, vom Kabel zum Glasfaser zu wechseln
Wir vermarkten die Glasfaseranschlüsse, die wir in den vergangenen sechs Jahren über unser GigaGemeinde-Projekt selbst gebaut haben, ziemlich erfolgreich. Wir haben in den Regionen Take-Up-Raten von mehr als 25 Prozent – ein Vielfaches mehr als in Gebieten, in denen wir unsere Angebote über Partnernetze vertreiben. Im Kabel haben wir schon mehr als zwei Millionen Gigabit-Kunden und immer mehr Interessenten entscheiden sich für Bandbreiten von mehr als 250 Mbit/s. Dass die Erwartungen bei den Wettbewerbern sich nicht erfüllen, mag auch daran liegen, dass sie unsere Kabelinfrastruktur überbauen. Die ist auch gigabitfähig und die Kunden sehen keinen Grund zum Wechsel.
Aber klar, die Take-Up-Raten müssen wir erhöhen. Meiner Meinung nach geht das vor allem durch regionale Marketingaktivitäten. Das Glasfasernetz wird bei den Kunden vor Ort gebaut, weshalb wir als Anbieter dort ebenfalls präsent sein müssen. Positiv ist, dass die Menschen mittlerweile verstehen, dass Glasfaser eine Zukunftstechnologie ist und das Kabel bereits heute zukunftsfähig ist. Die Bereitschaft, für einen Technologiewechsel mehr zu zahlen, ist jedoch gering. Aus der Marktforschung wissen wir, dass die Zahlungsbereitschaft für eine höhere Bandbreite auf derselben Infrastruktur wesentlich höher ist, als wenn man beispielsweise von Kabel auf Glasfaser wechselt. Der Grund ist, dass die Leistung vergleichbar ist.
Beides sind Gigabit-fähige Infrastrukturen. Um Kunden vom Umstieg auf Glasfaser zu überzeugen, sind also andere Argumente gefragt. Vor allem gilt es, den Menschen die Angst zu nehmen – zum Beispiel, dass bei den Arbeiten Haus und Garten beschädigt werden. Es geht also auch viel um den Aufbau von Vertrauen.
„Kabelnetz ist zukünftsfähig“
inside digital: Vodafone ist mit der OXG und auch mit eigenen Glasfaser-Projekten ebenfalls auf dem
Feld der direkten Glasfaser-Anschlüsse unterwegs. Wie sind die Rückmeldungen aus den
Regionen, in denen Vodafone bereits mit OXG oder eigenen FTTH-Projekten aktiv ist? Und
welche Rolle wird der direkte Glasfaseranschluss künftig im Gesamtportfolio spielen?
Das Kabelnetz ist ähnlich gut wie Glasfaser und zukunftsfähig. Es bleibt deshalb ein wichtiger Infrastruktur-Bestandteil unserer Gigabit-Versorgung. Auch, weil die Übergangszeit bis Deutschland seine Glasfaser-Ziele erreicht, sicherlich länger dauern wird als gedacht. Über die OXG bauen wir etwa sieben Millionen neue Glasfaser-Anschlüsse. Wo wir im ländlichen Raum kein eigenes Glasfasernetz haben, bieten wir Glasfaser-Anschlüsse über die Netze unserer Partner an. Wie zuvor schon ausgeführt: Mit den Ergebnissen bei unseren eigenen Ausbau-Projekten sind wir zufrieden. Und wir freuen uns auf den Vermarktungsstart in den OXG-Netzen.
DSL-Abschaltung ist alternativlos
inside digital: Die Kupfer-Glas-Migration ist ein Thema in der ganzen Branche. Vodafone ist ja selbst mit DSL als Vermarkter und Kabel als Betreiber in zwei Kupfertechnologien aktiv. Warum ist die Diskussion für Vodafone so entscheidend und wie kommuniziert man das am besten gegenüber Kunden, die als einzigen Wunsch haben, dass ihr Anschluss läuft – egal ob DSL, Kabel oder Glasfaser?
Deutschlands Verbraucher müssen zukunftssicher surfen können. Die Abschaltung ist alternativlos, da die Leistungsfähigkeit von Kupfer-DSL technologisch ausgereizt ist. DSL kann den künftigen Bedarf angesichts der kontinuierlich steigenden Datenvolumen nicht erfüllen. Ein Kabelkunde hat im Schnitt mittlerweile ein Datenvolumen von 433 Gigabyte pro Monat. Die Migration ist der größte Hebel für ein schnelleres und günstigeres Internet. Wenn man jetzt die richtigen Rahmenbedingungen setzt, können davon etwa 24 Millionen Haushalte und damit mehr als die Hälfte aller Bürger Deutschlands profitieren.
Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich verbindliche Regelungen. Dazu gehört beispielsweise, dass Verbraucher und Wettbewerber der DTAG bis zu 18 Monate vor der Abschaltung informiert werden. Wir brauchen einen klaren Fahrplan für die Abschaltung und vor allem Wahlfreiheit für die Verbraucher. Überall dort, wo bereits gigabitfähige Netze vorhanden sind, sollte DSL schnellstmöglich abgeschaltet werden. Ein klarer Rahmen hilft, die Verbraucher auf dem Weg in ein zukunftssicheres Netz sicher zu
begleiten.
„Wir sperren weiterhin gezielt Kabelanschlüsse“
inside digital: Die AngaCom kannte im vergangenen Jahr eigentlich nur ein Thema: Das Nebenkostenprivileg. Sie haben den Wegfall des Nebenkostenprivilegs offenbar besser verkraftet als erwartet. Dennoch steht der Vorwurf im Raum, dass viele ehemalige Kunden weiterhin kostenlos weiterschauen – Stichwort Schwarzseher. Wie gehen Sie mit diesem Vorwurf um – und wie weit ist Vodafone beim Abstellen alter, unbezahlter Signalwege tatsächlich?
Wer das Fernsehsignal nutzt, muss auch dafür bezahlen. Wir sperren weiterhin gezielt
Kabelanschlüsse, wenn eine ungerechtfertigte Nutzung durch Mieter vorliegt. Die Mieter werden
im Vorfeld mehrfach informiert und erst dann abgeklemmt.
inside digital: Abschließend eine hypothetische Szene: Sie treffen Digitalminister Karsten Wildberger im Aufzug. Sie haben 30 Sekunden Zeit – was ist Ihre wichtigste Botschaft an ihn in Sachen Breitband, Regulierung oder Kundeninteresse?
Ich würde ihm sagen, dass er den richtigen „Spirit“ bereits vorgelebt hat: als Start-up zu agieren. Entsprechend würde ich ihm raten, agil, schnell, mutig und kreativ zu sein, um auf Veränderungen und Herausforderungen im Markt zu reagieren. Eben ganz anders als bisher.
Dass dem Netzausbau per Gesetzesänderung nun endlich „überragendes öffentliches Interesse“
bescheinigt wird, ist ein wichtiger Schritt.
Transparenzhinweis: Dieses Interview wurde in schriftlicher Form geführt.