KOMMENTAR

Müssen wir Social Media für Jugendliche verbieten?

7 Minuten
Sollten wir – wie in Australien – Social Media für junge Menschen sperren? Ich halte diese Strategie für bedenklich. In meinem Kommentar verrate ich dir, wieso so ein Verbot maximal ein kleiner Baustein in einem viel größeren Maßnahmenpaket sein kann.
Eine Gruppe von vier Jugendlichen sitzt zusammen und diskutiert mit einer Frau in einem professionellen Umfeld.
Medienkompetenz oder Social-Media-Verbot – welche Taktik ist die richtige?Bildquelle: Carsten Drees / inside digital (KI-generiert)

Während in den USA die Meinungsfreiheit im Netz über allem steht und an so etwas wie ein Social-Media-Verbot nicht zu denken ist, geht die EU einen anderen Kurs. Hier will man die Macht großer Tech-Konzerne wie Meta und Google stärker einschränken – zum Beispiel durch den Digital Markets Act – und gleichzeitig junge Menschen besser schützen.

Ein konkreter Vorschlag kommt aus Griechenland: Gemeinsam mit Spanien und Frankreich setzt sich das Land dafür ein, die Online-Zeit von Jugendlichen europaweit stark zu begrenzen. Frankreich will sogar noch mehr. Wie wir berichtet haben, plant Präsident Macron ein generelles Social-Media-Verbot für alle unter 16. Außerdem sollen Jugendliche künftig auch von anderen Online-Inhalten ferngehalten werden – etwa von Shops, in denen man bislang noch relativ leicht Messer bestellen konnte.

Warum brauchen Jugendliche besonderen Schutz?

Die Kurzantwort: Schau dir an, wie oft selbst Erwachsene im Netz daneben­greifen. Mit noch weniger Lebenserfahrung und höchstens begrenztem Geschäfts­sinn sind Kinder und Teens logischer­weise besonders gefährdet. Ein WHO‑Bericht von 2024 zeigt: Schon 11 % der Jugendlichen weisen problematisches Social‑Media‑Verhalten auf. Sie haben Mühe, ihre Nutzung zu kontrollieren, und spüren negative Folgen. Mädchen (13 %) trifft das häufiger als Jungen (9 %).

Brauchst du noch mehr Zahlen? Wirf einen Blick auf die DAK/UKE‑Studie Ohne Ende Online. Laut dieser Untersuchung zeigt jede:r Vierte zwischen 10 und 17 Jahren einen riskanten oder pathologischen Medienkonsum; 4,7 % gelten sogar als süchtig. Insgesamt sind rund 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen!

Außerdem verbringen die Befragten inzwischen über zweieinhalb Stunden pro Tag in Social Media – eine halbe Stunde mehr als vor der Pandemie.

Die Sucht­gefahr ist also real, samt Nebenwirkungen wie Schlaf­defizit und Konzentrations­problemen. Noch gravierender: Social Media belastet die Seele. Auf Insta will man mit den „coolen“ Leuten mithalten, die perfekte Figur, das schönste Gesicht, die neuesten Klamotten und die spektakulärsten Spots präsentieren. Das Resultat: verzerrte Selbstwahrnehmung, Frust, Stress, Angst, Depressionen und ein angeknackstes Selbstwertgefühl.

On top kommen noch die schlechten Erfahrungen, die unerfahrene, junge Menschen im Netz machen können. Das geht bei Cybermobbing und Hassrede los und hört bei gefährlichen Inhalten auf, die von Fake-News über sexualisiertem Content bis zu gefährlichen Challenges reichen können. Ebenfalls dazu gehören Anfragen radikaler Gruppen. Jugendliche werden dort in Kreise hineingezogen, bei denen natürlich anfangs gar nicht ersichtlich ist, dass sie in den Extremismus führen können. 

Social-Media-Verbot für Jugendliche? Keine kluge Lösung!

Genau da docken ja dann auch die Maßnahmen an, die junge Menschen komplett von Social Media abschneiden sollen. Darf ich TikTok, Insta, Snapchat usw. nicht nutzen, sprechen mich auch keine Radikalen an und bin ich vor den Gefahren der sozialen Medien geschützt. Also in der Theorie. 

Meine Meinung: Menschen bis 16 pauschal vom Internet auszuschließen, halte ich für den falschen Weg. In Australien etwa dürfen Jugendliche ihr Alter nicht einfach mit offiziellen Ausweispapieren verifizieren. Bedeutet: Es braucht technische Alternativen – die allerdings oft recht leicht zu umgehen sind. Und solange solche Regeln nur auf einzelne Länder begrenzt sind, reicht meist schon ein VPN, um sie auszuhebeln.

Auch bei uns würde daraus wohl schnell ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel: Für jede technische Hürde gibt’s meist auch jemanden, der sie austrickst. Und mal ehrlich: Ist es wirklich gesund, Jugendlichen bis zu einem bestimmten Stichtag alles Digitale vorzuenthalten – nur um sie dann mit 15 oder 16 plötzlich mit der vollen Social-Media-Wucht zu konfrontieren? Ich glaube nicht.

Mein (etwas zu) simpler Lösungsansatz: Medienkompetenz!

Meine erste Idee kommt vielleicht ein bisschen schlicht daher, aber ich bleibe dabei: Wir brauchen mehr Medienkompetenz! Statt Kids ständig zu sagen, was sie alles nicht dürfen, sollten wir sie besser auf ihrer digitalen Reise begleiten. Wir predigen es ja nicht ohne Grund immer wieder – ob im Podcast oder auf der Seite: Medienbildung gehört verpflichtend in die Schule. Und zwar am besten schon in einem Alter, in dem Social Media noch keine große Rolle spielt.

Denn: Wie funktioniert Datenschutz überhaupt? Mit wem darf ich mich online austauschen? Wo finde ich verlässliche Nachrichten? Was macht Social Media so riskant – Stichwort Abhängigkeit? Wie erkenne ich, ob das, was ich sehe, echt ist? Und warum sehen auf Insta alle immer so perfekt aus? Genau solche Themen müssen früh auf den Tisch.

So ein Unterricht könnte ein echtes Füllhorn an wichtigen Inhalten liefern – die uns helfen, junge Menschen besser auf die digitale Welt vorzubereiten.

Aber hier kommt das große Aber: Wie schützen wir die Jugendlichen jetzt? So eine Struktur baut sich nicht über Nacht auf. Lehrer:innen müssen dafür geschult werden, das kostet Zeit – Zeit, die wir eigentlich gar nicht haben. Deshalb habe ich meinen Ansatz noch einmal weitergedacht …

Mein reflektierter, komplexerer Lösungsansatz: Medienkompetenz + X

Keine Angst, mit „X“ meine ich keineswegs einen Social-Media-Dienst, der einem übertrieben reichen, durchgepeitschten Tech-Bro gehört. Vielmehr ist X in diesem Fall die Variable für eine Mischung aus verschiedenen Bausteinen, die zusammen ein tragfähiges Konzept ergeben könnten.

Wie bereits gesagt: Die Schulen allein werden das Thema nicht schnell genug stemmen. Deshalb braucht’s mehr als nur den Unterricht. Ich bleibe natürlich dabei: Medienkompetenz muss in den Lehrplan. Aber sie sollte durch weitere Maßnahmen ergänzt werden.

  • Die Verantwortung liegt nicht nur bei der Schule. Auch zu Hause müssen Eltern mit ins Boot – Aufklärung und Begleitung gehören in den Alltag.
  • Gleichzeitig gilt: Kein pauschaler Ausschluss von Kindern und Jugendlichen aus dem Netz – aber ein klarer Schutz vor Inhalten, die dort nichts zu suchen haben: Pornos, Glücksspiele und Co. Um das durchzusetzen, müssen Politik und Tech-Branche zusammenspielen. Die einen schaffen die Regeln, die anderen sorgen dafür, dass sie auch technisch eingehalten werden.
  • Technik ist hier übrigens ein Schlüsselthema: Wir brauchen zuverlässige Lösungen, die einerseits den Zugriff auf problematische Inhalte blockieren, andererseits aber auch helfen, Bildschirmzeiten zu begrenzen.
  • Vielleicht geht es sogar noch weiter: Warum nicht Versionen von Plattformen entwickeln, die auf junge Nutzer:innen zugeschnitten sind? Eine Art „Insta light“ – ohne endlosen Feed, ohne Like-Zwang, ohne Belohnungssysteme, die süchtig machen.

Mein Fazit: So sollten wir mit jungen Menschen umgehen

Wird die Frage ganz schlicht gestellt, ob wir Social Media für junge Leute pauschal verbieten sollten, sage ich: nein. Jedenfalls nicht, wenn man damit suggerieren will, das Problem sei damit vom Tisch. Ein pauschales Verbot wirkt wie eine schnelle Lösung – ist es aber nicht. Was dagegen helfen kann, sind gezielte Einschränkungen: Plattformen mit heiklen Inhalten – zum Beispiel Pornoseiten – müssen so abgesichert sein, dass Jugendliche da nicht einfach durchrutschen.

Aber klar ist: Das allein reicht nicht. Es muss mehr passieren – und zwar auf mehreren Ebenen. Für mich ist und bleibt Medienkompetenz der Schlüssel. Sie sollte für alle selbstverständlich sein, die sich online bewegen – ganz besonders aber für junge Menschen. Statt sie einfach ins kalte Wasser zu werfen, müssen wir sie begleiten. Egal, ob als Lehrer:innen, Eltern oder Tech-Unternehmen: Es ist höchste Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

Wir leben bereits in Zeiten, in denen die jungen Menschen mit Fakes überschüttet werden, ein komplett mieses Selbstbild entwickeln und sich von 15-jährigen Möchtegerns bei TikTok die Welt erklären lassen, statt zu googeln und auf seriöse Medien zu vertrauen. Traurigerweise betrifft all das eben nicht nur die Kids, sondern circa so ziemlich jeden von uns, komplett unabhängig vom Alter.  Wir müssen also auch als Gesellschaft wachsen und lernen, um die jungen Menschen letzten Endes in eine etwas bessere Welt hinauszuschicken. 

Ich mag aber hier nicht nur so pseudo-schlau daherreden, sondern würde die Frage auch gerne an dich richten: Wie sähe für dich der perfekte Jugendschutz aus? Wäre es ein Verbot oder hast du ganz andere Ideen?

Und was sagst du?

Bitte gib Dein Kommentar ein!
Bitte gibt deinen Namen hier ein