Bahn-Fahrplan: Eine Stunde Verspätung wird künftig schon eingeplant

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Wer in Europa mit dem Zug reisen will, braucht vor allem eines: Geduld. Denn kaum ein Verkehrsträger ist so anfällig für unvorhersehbare Verzögerungen wie die Schiene – besonders im Nachtverkehr. Doch ein Anbieter denkt das Problem radikal neu.
Bahngleise
Ein neuer Nachtzuganbieter plant direkt eine Stunde Verspätung einBildquelle: NoName_13 / Pixabay

Immer wieder stehen Baustellen und marode Infrastruktur dem Bahnverkehr im Weg – und das nicht nur tagsüber. Gerade Nachtzüge haben es schwer: Sie sind auf pünktliche Fahrpläne über Landesgrenzen hinweg angewiesen, während die Deutsche Bahn nachts auf mehr als 1.000 Baustellen gleichzeitig arbeitet. Das stellt private Anbieter vor enorme Herausforderungen, denn die Ausweichrouten lassen sich in einem dichten internationalen Fahrplan nur schwer realisieren. Die Situation dürfte sich in den kommenden Jahren nicht entspannen. Die Generalsanierung des Netzes zieht sich bis mindestens Mitte der 2030er-Jahre. Wer künftig Nachtzüge betreiben will, braucht also nicht nur gute Ideen, sondern muss auch mit massiven Einschränkungen kalkulieren.

Nox: Nachtzug mit Privatzimmer ab 2027

Ein neues Start-up geht deshalb einen ungewöhnlichen Weg: Statt sich blind auf die Pünktlichkeit des Netzes zu verlassen, plant das Unternehmen von Anfang an eine Stunde Verspätung ein. Die Strategie von Nox, so der Name des Anbieters: In der Nacht sollen die Züge möglichst ungestört durchfahren, Halte zum Ein- und Aussteigen gibt es nur am Abend und am Morgen. So will man die Hauptzeit für Bauarbeiten umgehen. Noch mehr: Für eventuelle Umleitungen ist im Fahrplan automatisch ein großzügiger Zeitpuffer vorgesehen. Das heißt: Nox will direkt mit einer Stunde Verspätung am Ankunftsort kalkulieren. Ist man am Ende doch schneller da, dann freuen sich die Kunden.

Damit geht der Anbieter auf Konfrontationskurs zu klassischen Konzepten der Bahnplanung, bei denen jeder Takt optimiert ist – und jede Abweichung teuer wird. Durch die großzügige Planung entgeht man auch Entschädigungszahlungen. Zielgruppe des neuen Nachtzug-Angebots sind vor allem junge Geschäftsreisende unter 40, die Wert auf Privatsphäre, Internet und einen Schlafplatz statt eines einfachen Sitzes legen. Denn auch beim Komfort unterscheidet sich das Angebot. Wie das Unternehmen mitteilt, sollen die Züge ausschließlich aus Einzel- und Doppelabteilen mit Hotelzimmer-Charakter bestehen – ganz ohne Großraum- oder Liegewagen.

Doch noch existiert das neue Unternehmen nur auf dem Papier. Die Resonanz sei aber bereits groß. Über 10.000 Rückmeldungen haben die Gründer nach dem öffentlichen Start gesammelt. Die Firma selbst ist erst seit wenigen Wochen im Handelsregister eingetragen. Hinter dem Projekt stehen Thibault Constant, bekannt durch seinen Bahn-YouTube-Kanal „Simply Railway“, und Janek Smalla, früher Mitgründer von Flixtrain.

100 Städte im Nachtzugnetz bis 2035 geplant

Doch die Hürden sind enorm: fehlendes Wagenmaterial, hohe Regulierungskosten und die fehlende Serienproduktion von Schlafwagen. Und bislang fehlt auch noch die Finanzierung. Trotzdem zeigen sich die Nachtzug-Macher optimistisch – sie wollen die Renaissance der Nachtzüge aktiv mitgestalten. Nach eigenen Angaben habe sich das Unternehmen bereits bestehende Wagen gesichert. Man befinde sich „in der Endabstimmung des Innenraumdesigns“ und plane eine große Finanzierungsrunde im Herbst. Ab 2027 sollen Nachtzüge mit Hotelkomfort auf den Schienen rollen – dann mit eingeplanter Verspätung. Bleibt zu hoffen, dass diese nicht auch auf den generellen Start zutrifft.

Die mittelfristigen Pläne jedenfalls sind gewaltig. „Bis 2035 wollen wir über 100 Städte verbinden“, heißt es auf der Webseite. Namentlich genannt werden dabei beispielsweise Oslo, Stockholm, Warschau, Budapest, Rom, Barcelona und in Deutschland Berlin, Hamburg, Frankfurt, München und „Rhine-Ruhr“, die das Unternehmen per Nachtzug anbinden will

Irritierend: Auf der Webseite des Anbieters gibt es sogar schon eine Buchungsmaske, in der sich für diesen Monat vermeintliche Fahrten buchen lassen. Ein Beispiel: Abfahrt in Berlin um 22:25 Uhr in einer Einzelkabine für gerade einmal 79 Euro nach Wien. Wer diese Verbindung buchen will, wird aber auf den Early-Bird-Club verwiesen. Wer sich anmeldet, soll später einmal zu den ersten Fahrgästen gehören, die dann Rabatt und ein Gratisgetränk bekommen und vor allen anderen mitfahren und buchen können sollen.

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