In Deutschland gibt es 43,8 Millionen Wohnungen. Sie befinden sich zu 33 Prozent in Mehrfamilienhäusern mit bis zu sechs Wohneinheiten und zu 37 Prozent in sehr großen Mehrfamilienhäusern. Und genau das ist, wie sich jetzt herausstellt, offenbar ein großes Problem für Anbieter, die Glasfaser ausbauen wollen. Auf der Anga Com in Köln haben die Wettbewerberverbände Anga und VATM eine Studie vorgestellt, die erstmals eine detaillierte Bestandsaufnahme liefert, wo schon Glasfaser bis in die Wohnung gebaut wurde und wo sie nur vor dem Haus liegt. Hier scheitert es oft an der sogenannten NE4, der Inhaus-Verkabelung.
Einfamilienhäuser mit großem Anteil am aktuellen Glasfaser-Ausbau
Laut der Marktanalyse, die das Beratungsunternehmen Dialog Consult erstellt hat, sind inzwischen rund 7,6 Millionen Wohneinheiten in Deutschland mit FTTH-Anschlüssen versorgt. Hier liegt die Glasfaser also wirklich in der Wohnung und kann genutzt werden. 3,9 Millionen dieser Anschlüsse gehen auf das Konto der Wettbewerber. Auffällig: Besonders fortgeschritten ist der Ausbau in Ein- und Zweifamilienhäusern. In größeren Mehrfamilienhäusern ist der FTTH-Ausbau zwar technisch komplexer, aber auch hier sind die Wettbewerber führend: 1,7 Millionen Wohnungen in solchen Gebäuden haben sie bereits vollständig erschlossen. Der überwiegende Anteil entfällt jedoch auf Einfamilienhäuser.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der strukturelle Unterschied im Ausbauansatz. Während die Wettbewerber konsequent auf echte Glasfaseranschlüsse bis in die Wohnung setzen, verlegt die Deutsche Telekom Glasfaser vielerorts zunächst nur bis zur Grundstücksgrenze – das sogenannte „Homes Passed“. Ein direkter Hausanschluss erfolgt dort oft erst auf Kundenanfrage und dauert bei der Umsetzung. Was in der Branche auch kritisiert wird: Bucht in einem Haus mit zehn Wohneinheiten ein Kunde Glasfaser, baut die Telekom nur seine Leitung. Für den nächsten Nachbarn wird dann die nächste Leitung verlegt – aber erst, wenn dieser bestellt. Dieses Single-Line-Konzept sei nicht sinnvoll, so die Wettbewerber.
M-net: Telekom muss sich über niedrige Aktivierungszahlen nicht wundern
Nelson Killius, Sprecher der Geschäftsführung von M-net, schildert die praktischen Folgen der Homes-Passed-Strategie der Telekom am Beispiel München: „Wenn man das Pech hat, in einem Stadtteil zu wohnen, in dem die Telekom ausbaut, erhält man bei einer FTTH-Bestellung zuerst eine Auftragsbestätigung. Man wird dann erst mal auf VDSL geschaltet. Denn Glasfaser als Homes Connected gibt es ja noch nicht.“ Stimmen Eigentümer dem Ausbau schließlich zu, verlege die Telekom oft nur eine einfache Verbindung vom Keller zur jeweiligen Wohnung. „Der Rest des Hauses wird nicht aufgerüstet. Dann muss man sich nicht wundern, wenn man sehr niedrige Zahlen bei Homes Activated bekommt.“
Glasfaser verkaufe sich dann gut, wenn man die Haushalte bereits fertig angeschlossen habe, so Killius weiter. „Glasfaser verkauft sich echt gut, aber ich brauche Homes Connected.“ Es müsse „alles für zahlende Kunden vorbereitet sein, damit diese auch kaufen“. M-net baue daher seit jeher Homes Connected. Das sei die „Basis für eine erfolgreiche Glasfaservermarktung“.
NE4 als Engpass – und als Vertrauensfrage
Die sogenannte Netzebene 4 (NE4) – also die Verkabelung innerhalb eines Gebäudes – gilt als kritischer Punkt beim FTTH-Ausbau. Sie erfordert nicht nur baulichen Aufwand, sondern auch die Zustimmung von Eigentümerinnen und Eigentümern. Und da ergibt sich das nächste Problem für die Glasfaseranbieter: die Eigentümerstrukturen. Von der Wohnungseigentümergemeinschaft über Genossenschaften, Einzeleigentümer bis hin zu Kommunen und privatwirtschaftlichen Unternehmen gibt es zahlreiche Eigentümerstrukturen. Und jede Eigentümergruppe hat andere Interessen und Ziele.
Maximilian Oertle, technischer Geschäftsführer bei M-net, beschreibt die Situation aus Anbietersicht. „Einzeleigentümer sind oft verunsichert und haben viele andere Sorgen – etwa ein kaputtes Dach oder eine anstehende energetische Sanierung. Wenn dann noch das Thema Glasfaser dazukommt, fühlen sich viele überfordert oder schlichtweg nicht zuständig.“
Gerade deshalb sei der offene Dialog entscheidend. Eigentümer müssten verstehen, „was geplant ist, welchen Nutzen ein Glasfaseranschluss bringt – und dass sie sich um nichts kümmern müssen“. Ziel von M-net sei es, den Ausbau mit möglichst wenig Aufwand für die Eigentümer zu gestalten. Wo möglich, nutze man vorhandene Leerrohre. Eine aufwendige Unterputzverlegung im Treppenhaus sei keine Option. Oertle: „Wir wollen nicht das Treppenhaus sanieren.“ Wann immer möglich nutzen die Glasfaser-Anbieter ohnehin andere Wege wie vorhandene Leerrohre oder nicht mehr genutzte Kamine um die Leitung durch die Etagen zu ziehen.
Auch Bernd Thielk, geschäftsführender Gesellschafter von willy.tel, betont die Herausforderung auf der NE4: „Das ist wie ein Häuserkampf.“ Gerade in Städten mit vielen kleinen Eigentümern müsse man „mit jedem Einzelnen in Verbindung treten, um Zugang zu bekommen“.
Inhaus-Verkabelung ist eine Frage des Geldes
Auch bei der Finanzierung will M-net eigene Standards setzen: Der Anbieter bringt die Kosten für den Glasfaseranschluss selbst ein – Zusatzwünsche der Eigentümer sollen nicht zu Mehrkosten führen. Die finanziellen Dimensionen des Inhaus-Ausbaus sind enorm: Je nach Gebäudestruktur fallen 600 bis 1.400 Euro pro Wohneinheit an. Bei rund 22 Millionen noch nicht erschlossenen Wohnungen in Mehrfamilienhäusern ergibt sich ein Investitionsbedarf von bis zu 22 Milliarden Euro.
Claus Wedemeier, Referent für Telekommunikation beim Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW, schätzt den Bedarf ähnlich ein: „Auch wir gehen von rund 18 bis 20 Millionen Haushalten aus, die ausgebaut werden müssten. Unsere Mitgliedsunternehmen haben zwar schon viel getan – bei uns sind es etwa sechs Millionen Wohnungen – aber beim FTTH-Ausbau liegt noch einiges im Argen.“
Für die Branche ist klar: Der Ausbau muss koordiniert erfolgen – mit festen Ansprechpartnern, realistischen Projektplänen und guter Kommunikation. „Single-Line-Lösungen erschweren spätere Vollausbauten“, so Wedemeier. Ziel müsse es sein, „direkt voll auszubauen – im Neubau ebenso wie im Bestand“.
Zwischen Realität und Anspruch: Die Perspektive der Netzbetreiber
Während einige Anbieter schon weit im Ausbau sind, kämpfen andere mit wirtschaftlichen Hürden. Stefan Tiemann von RFT Kabel Brandenburg betont: „Die Rahmenbedingungen für einen vollständigen Glasfaser-Inhouse-Ausbau stimmen noch nicht. Als mittelständisches Unternehmen müssen wir unsere Investitionen refinanzieren – und das ist angesichts regulatorischer Unsicherheit, etwa zur Rolle von NE4, schwierig.“
Auch Christian Biechteler von Tele Columbus mahnt zur Differenzierung: „In vielen Gebäuden bieten wir bereits Gigabit über DOCSIS 3.1. Warum sollten Mieter für einen Glasfaseranschluss 30 bis 50 Prozent mehr bezahlen, wenn das bestehende Netz gut funktioniert?“ Die Nachfrage nach Glasfaser sei dort am größten, „wo bislang echter Mangel an Bandbreite herrscht“.
Tele Columbus bekennt sich dennoch zum Glasfaser-Vollausbau. „Das ist die Grundlage unserer Kooperation mit der Wohnungswirtschaft“, so Biechteler. Entscheidend sei es, gemeinsam „realistische Zeitpläne, Verlegewege und Ressourceneinsätze abzustimmen“. Einzelanschlüsse reichten nicht aus.