Wer in den 1990ern ins Internet wollte, brauchte drei Dinge: ein Modem, viel Geld – und Geduld. Erst kam das Wählen, dann dieses eigenwillige Konzert aus Brummen, Pfeifen und Tüüt. Und dann die Frage: „Bin ich schon drin?“ Jetzt wird dieses Geräusch für immer verstummen. Ab dem 30. September 2025 wird dieser für Internetnutzer der 1990er Jahre unvergessliche Sound endgültig verstummen. Der Provider AOL schaltet nach 34 Jahren seinen Modemdienst ab. Damit ist die Einwahl per Modem endgültig Geschichte. In Deutschland spielt sie ohnehin keine Rolle mehr; jetzt aber wird auch andernorts der Stecker gezogen.
Internet in den 1990ern: 128 kBit/s war Highspeed
Gestartet wurde das Angebot 1991 in den USA, als Breitbandanschlüsse noch Zukunftsmusik waren. Schnelles Internet hieß seinerzeit auch in Deutschland bestenfalls ISDN mit 64 kbit/s. Das sind 0,064 Mbit/s. Wer im Netz rechts überholen wollte, nutzte die ISDN-Kanalbündelung mit 128 kbit/s – und doppelten Kosten. AOL wurde für Millionen Menschen zur ersten Station im Netz. Doch statt direkt auf Webseiten zu landen, begrüßte dich das bunte AOL-Portal mit Chats, Nachrichten und Software-Downloads. Die Kampagne mit Boris Becker und dem Satz „Bin ich schon drin?“ (1999) wurde zum Werbeklassiker.
Ab Mitte der 1990er überschwemmte das Unternehmen den Markt mit seinen silbernen Zugangs-CDs. 1999 verschickte AOL Schätzungen zufolge mehr als eine Milliarde davon. So verhasst die Silberlinge im Briefkasten und in der abonnierten Zeitschrift bei vielen waren, so begehrt waren bestimmte CDs bei anderen Nutzern. Denn abhängig von der CD war auch der genutzte Tarif. Seinerzeit waren Flatrates Mangelware – bestimmte Werbe-CDs ermöglichten aber den Zugang zum Pauschaltarif.
Technisch funktionierte das Ganze über die Telefonleitung. Ein Modem wählte eine Nummer, handelte in piepsenden Tönen die Datenverbindung aus und blockierte dabei das Festnetz. Mit Übertragungsraten von anfangs 14,4 und später bis zu 56 Kilobit pro Sekunde war das Laden einer einzelnen Webseite oft eine Geduldsprobe. Aber es fühlte sich damals wie Zukunft an – schließlich war in den 1990er Jahren gerade erst das World Wide Web öffentlich verfügbar geworden. Mit ISDN verschwand zwar das Geräusch für Nutzer mit diesem damals hochmodernen digitalen Anschluss, das Prinzip aber blieb. Und für die meisten blieb es bei der Einwahl per Modem.
DSL bedeutete das Aus von AOL
Mit dem Aufkommen von DSL um die Jahrtausendwende (und inzwischen Internet per Glasfaser) brach die Nachfrage ein. AOL verlor an Bedeutung, wechselte mehrmals den Besitzer und versuchte sich ab 2006 als Content- und Medienanbieter neu zu erfinden. Trotzdem hielten viele Menschen an der alten Technik fest: 2015 zahlten Medienberichten zufolge in den USA noch rund zwei Millionen Kundinnen und Kunden für den Dienst – oft aus Gewohnheit oder weil es keine Alternative gab. Selbst 2021 waren es noch etwa 1,5 Millionen, von denen nur wenige Tausend tatsächlich per Modem online gingen.
In Deutschland verkaufte man das AOL-Zugangsgeschäft seinerzeit an HanseNet (Markenname Alice). Dieser Anbieter wiederum wurde von Telefónica (O2) übernommen. Die Marke AOL als Provider verschwand. Die letzten glaubhaften Berichte, dass die Modem-Einwahl in Deutschland noch funktionierte, sind inzwischen ein bis zwei Jahre alt. In der offiziellen Mitteilung von AOL-Eigner Yahoo über die Einstellung der Modem-Einwahl spielt Deutschland bereits keine Rolle mehr.
Modem-Einwahl in Deutschland nicht mehr notwendig
Auf eine Einwahl per Modem sollte in Deutschland aber wirklich niemand mehr angewiesen sein. Auch wenn DSL und Glasfaser in einigen Regionen bis heute nicht angekommen sind, gibt es hier mindestens eine Alternative: Internet per Satellit. Was aber für die Internetnutzer der 1990er Jahre bleibt, ist die Erinnerung. Vielleicht eine Erinnerung an eine AOL-CD, die irgendwo noch in einer Schublade liegt. Und die Erinnerung an das Modem-Geräusch. Mit dem Abschalten bei AOL geht nicht nur ein Dienst, sondern auch ein Klang verloren, der eine ganze Generation ins Netz begleitet hat. Es dürfte die letzte wirklich bekannte Einwahl per Modem ins Internet gewesen sein.