570 Kilometer Reichweite, von 0 auf 100 km/h in unter 4 Sekunden, eine Optik irgendwo zwischen Tesla und Porsche – und einen Basispreis von wohl „nur“ rund 45.000 Euro. Der BYD Seal soll den Deutschland-Start des China-Herstellers anführen und mit neuem Blade-Akku auch technisch Maßstäbe setzen. In einer kurzen Probefahrt im Rahmen der IAA haben wir uns angeschaut, welches Potenzial im Seal schlummert.
Neue Akku-Technik: Das hebt den BYD Seal ab
Mit dem Seal setzt BYD auf eine neuartige Akku-Technik. Selbst nennt man das Prinzip „Blade“. Dabei handelt es sich um eine Lithium-Eisenphosphat (LiFePO) Batterie, die im Seal 82,5 kWh fasst, was für bis zu 570 Kilometer Reichweite pro Akkuladung (WLTP) ausreichen soll. In der von uns getesteten Allrad-Variante mit mehr Motor-Anspruch sind es 520 Kilometer.
Besonders ist aber nicht die Chemie, sondern die Zusammensetzung. Die Blade-Batterie setzt auf eine Wabenstruktur der Zellen, die eine deutlich erhöhte Festigkeit zur Folge hat. Die Struktur sorgt einerseits für eine bessere Raumnutzung – und damit Akkugröße und damit Reichweite. Vor allem aber ist der Akku mehr denn je Bestandteil der grundlegenden Stabilität der Karosse. Technische Vorteile liegen in der besseren Kühl- und Vorwärmeleistung. Die Batterie wird also schneller in den jeweils besten Temperatur-Korridor gebracht. Das schützt sie nachhaltig, beugt Defekten vor und steigert die Leistungsabgabe sowie – beim Laden – auch die -aufnahme. Soweit die Theorie. Setzen wir uns mal rein.
Rundherum: Das ist der BYD Seal
Der Seal ist eine E-Limousine und schon deshalb recht erfrischend im SUV-dominierten Konzert der E-Mobilität. Mit 4,80 Metern Länge und 2,15 Metern Breite bei einem Radstand von 2,92 Metern ist der Seal aber beileibe kein Kleinwagen. Dazu hat der Hersteller den Wagen auch nicht auf unter 2 Tonnen Leergewicht drücken können.
Optisch ist die Limousine durch und durch sportlich: Aerodynamische Formen und ein Scheinwerfer-Design mit Wiedererkennungswert durch die Form einer stilisierten „9“. Rundherum um das Auto gibt es Sensoren – Standard in dieser Preis- und Technikklasse. In den Außentüren sind plan eingelassene Türgriffe, die im Stand ausgestellt sind. Die lange Motorhaube enthält einen großzügig bemessenen „Frunk“. Also einen Front-Kofferraum mit Hartplastik-Auskleidung für Ladekabel und Co. Das Dach unseres Testfahrtwagens wird durch ein Panorama-Glasdach dominiert.
Von außen ist der Seal schick, stylisch und für ein E-Auto sogar recht unauffällig gestaltet. Parallelen im Formfaktor zum Model 3 von Tesla sind da. Nicht nur deshalb dürfte sich BYD in Europa zunächst über Bezeichnungen als „China-Tesla“ nicht beschweren. Innen geht’s damit nämlich weiter.
Eingestiegen: So sieht’s von Innen aus
Das Cockpit unterstreicht Luxus-Ansprüche. Dominant sind neben hellen Farben der Sitze natürlich die beiden Displays. Das kleine hinter dem Lenkrad zeigt während der Fahrt die wichtigsten Parameter an. Die zentrale Infotainment-Anzeige in der Mitte der Armaturen ist groß – eben Tesla-like – und lässt sich auf Knopfdruck drehen. Wer also lieber die „Tablet“-Ansicht der Horizontalen mag, stellt diese ein. Wer auf längliches Monster-Smartphone-Feeling steht (wie im Tesla, oder Mustang Mach-E) stellt auf Hochkant.
Das Lenkrad unterstreicht die sehr gute Haptik aller Bedienelemente. Hier lässt sich mittlerweile kein Autohersteller so richtig lumpen. BYD setzt klassisch auf Lenkradelemente zum Einstellen der Assistenzsysteme (links) und zum Steuern der Infotainment-Segmente (rechts). Lenkstockhebel sind – anders als beim neuen Tesla-Facelift – noch mit dabei.
Auf der Mittelkonsole befindet sich der Gangwahlhebel (D/N/R), umringt von Knöpfen und Rädchen zur Einstellung der Fahrmodi (Sport, Normal, Eco, Schnee), für den Parkmodus und mehr. Insgesamt ist das Cockpit für ein modernes E-Auto schon fast konservativ ausgerüstet. Das mindert die Eingewöhnungszeit und macht den Einstieg schneller.
Probefahrt mit dem BYD Seal
Auf der Straße wirkt der Seal gar nicht mehr wie das Schiff, dass er gemäß seinen Dimensionen ist. Nicht nur in Sachen Handling ist der Wagen selbst in der Stadt geschmeidig, sondern sogar übersichtlich. Gleichwohl schrumpfen die 4,80 × 2,15 Meter nicht, sobald du einsteigst. Deshalb ist der Seal kein echtes Stadtauto. Aber es ist ein Auto, mit dem du in der Stadt keine Bange haben musst. Der große Radstand wird durch den engen Lenkeinschlag ausgeglichen. Der Wendekreis beträgt 5,70 Meter – genug für U-Turns und Rangieren in engen Parkhäusern.
Das Fahrgefühl des BYD-Boliden ist extraklasse. Die Ingenieure in China haben Top-Arbeit geleistet und das Gestell mit dem angesprochenen Blade-Akku lässt die 2,1 Tonnen mit den 19-Zoll-Rädern über die Fahrbahn schweben. In der Vollausstattung mit Allrad-Antrieb ist auch der Sport-Charakter des Fahrwerks beeindruckend. Im Stadt-Landverkehr konnten wir die 3,8 Sekunden von 0 auf 100 nicht gänzlich nachstellen. Drehmoment und Beschleunigung machen die Angabe jedoch nachvollziehbar. Der Seal ist eben ein E-Auto, das direkt loslegt. Im Vergleich zu anderen Vertretern wirkt das Fahrpedal in der Einstellung unseres Testfahrzeugs jedoch beinahe etwas locker. Der haptische Widerstand am Fuß entspricht nicht voll dem Gefühl, das du auf die Straße bringen willst.
Die Assistenzsysteme – Tempomat, Abstands-Regler und Spurhalteassistent funktionieren in der Stadt und außerhalb akkurat und sind übers Lenkrad schnell angewählt. Autonomes Fahren Level 2 ist mit dem Seal verlässlich möglich.
Was bleibt hängen?
Der BYD Seal ist ein ausentwickeltes Elektroauto, bei dem du keine Kompromisse machen musst. Erst recht nicht in Sachen Fahrbarkeit, aber auch nicht bei der Bedienung der komplexen Software. Hier sind andere asiatische Fabrikate deutlich umständlicher. Das BYD-System hingegen ist einfach strukturiert und gut übersetzt. Haptisch und digital gut zu bedienen und überaus flott.
Ein paar Sachen fallen dann aber doch auf. Die integrierte Navigation ist gut, aber nicht so gut integriert wie Teslas Pendant und erst recht nicht auf Google Maps Niveau. Vor allem die Sprachausgabe ist noch ungenau. Die Sprachsteuerung hingegen funktioniert tadellos. Wer ohnehin lieber Android Auto und Apple Carplay nutzt, kann das im Seal tun und bekommt sein gewohntes Erlebnis.
- Ablenkung: Wie viele Autos dieser Klasse bietet die große Displayfläche und die feine Einstellungsebene einiges an Ablenkungsmöglichkeit. Immerhin finden wir in der Allrad-Vollausstattung ein HUD (Head-Up-Display) vor, das einiges hiervon abnimmt. Geschwindigkeit, Modi und Navi sind so im Blick, ohne dich von der Straße abzulenken.
- Blinker: Während Tesla nur noch auf Touch blinkt und XPeng eine grausige Tipp-Lösung mit „Gegenblink-Notwendigkeit“ bietet, ist BYD klassisch unterwegs. Zumindest bei der Blinker-Bedienung. Ungewohnt ist aber das Blinker-Geräusch. Kein Klacken, sondern eher ein helles, metallisches Ticken gibt den Takt beim Abbiegen und Spurwechseln an.
- Animierter Fahr-Sound: Der Seal ist an sich leise und gut abgeschirmt. Das animierte Fahrgeräusch bei niedrigen Geschwindigkeiten – ein monotones Surren – dringt allerdings in den Innenraum und bricht abrupt ab, wenn du stoppst. Das klingt im Stop-and-Go der Stadt oft wie ein Handy, das im Fond liegt und vor sich hin vibriert. Unschön.
Zwei Varianten starten in Deutschland
BYD will den Seal in zwei Varianten auf den Markt bringen. Die „Design“-Version hat etwas weniger Power und nur einen Motor (Heckantrieb). Das sorgt für insgesamt weniger Power – aber auch einen geringeren Verbrauch (WLTP-Reichweite: 570 km, 16,6 kWh auf 100 km). Außerdem fehlen Extras wie das Head-Up-Display.
Die „Excellence AWD“-Version bietet die volle Motorleistung und verspricht die Beschleunigung in unter 4 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Das Mehr an Leistung bezahlst du hier mit einem höheren Verbrauch (18,8 kWh auf 100 km, 520 km WLTP-Reichweite).
Aufgeladen werden die Akkus an der Wallbox und städtischen Ladesäule mit 11 KW. Am Schnelllader zieht die Maschine bis zu 150 KW in Idealform. Damit lädst du das Auto auf der Fernstrecke in 26 Minuten von 30 auf 80 Prozent und rund 37 Minuten von 10 auf 80 Prozent wieder auf (Hersteller-Angabe). Das sind übliche Werte, für Rekorde an der Ladesäule sorgen sie nicht. Tesla, Kia/Hyundai und die Premium-Segmente der restlichen Hersteller sind hier deutlich im Vorteil und laden schneller.
Die Preise für den BYD Seal
In der Basis-Version mit „Leistungs-Abstrichen“ soll der BYD Seal „Design“ 44.900 Euro kosten. Die Allrad-Variante BYD Seal „Excellence AWD“ startet bei 50.900 Euro.
Du kannst beide Versionen in den Farben Blau, Grau, Schwarz und Weiß ohne Aufpreis wählen. Aufpreispflichtig sind dann die Hingucker-Designs in „Shadow Green“ und „Indigo Blue“. Das Testfahrzeug auf den Bildern ist die grüne Sonder-Edition.