Netflix gehörte neben Amazon Prime Video jahrelang zu den hierzulande, aber auch weltweit beliebtesten Streamingdiensten. Die geflügelte Phrase „Netflix and Chill“ hat sich mittlerweile verselbstständigt und geht mit Blick auf die Bedeutung sowohl im Internet als auch im realen Leben eigene Wege. Und dennoch strauchelt der Gigant aktuell – um nicht zu sagen, dass er abstürzt, wie der Aktienkurs am schwarzen Freitag im Jahr 1929.
Eine überaus passende Allegorie, denn während die Aktie von Netflix im vergangenen Monat um satte 29 Prozent gestiegen ist (gerundet), ist sie im vergangenen Jahr um noch sattere 51 Prozent gefallen – die kürzliche Steigung bereits eingerechnet. Zudem musste der Streaming-Anbieter seine ursprünglichen Pläne für einen Zuwachs von 2,5 Millionen Nutzern in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 zugunsten eines Verlusts in Höhe von 200.000 Abonnenten aufgeben. Kein guter Start ins neue Jahr.
Nun möchte sich der Streaming-Anbieter selbst unter Zuhilfenahme von zwei Maßnahmen an den Ohren aus dem Morast ziehen. Das Problem: Keine dieser Maßnahmen geht auf die Kritik der Netflix-Nutzer ein – im Gegenteil. Eines der beiden Rettungsohren verärgert einen großen Teil der Abonnenten und drängt diese dazu, das böse Wort in den Mund zu nehmen: Kündigung. Doch was genau plant Netflix eigentlich?
Netflix und die Rettungsohren – eine Tragödie in zwei Akten
Dieser Reddit-Thread spiegelt die aktuelle Einstellung der meisten Nutzer gegenüber Netflix recht gut wider. Wut, Spott und die Drohung, Netflix in dem Moment abzuschwören, in dem dessen neue Regelung in Kraft tritt. Das Stichwort ist hier Account-Sharing, also das Teilen von Konten. Bisher konnten sich bis zu vier Film-Fans zusammentun und sich so ein Netflix-Konto finanzieren. Vier, weil die teuerste Netflix-Variante, Netflix Premium, für 17,99 Euro im Monat eine zeitgleiche Nutzung auf vier Geräten gestattet.
Spätestens Anfang 2023 soll sich dies jedoch ändern. Dann werden für Streaming-Standorte außerhalb der eigenen vier Wände gesondert Gebühren fällig – laut den bisherigen Angaben rund 3 US-Dollar pro Standort. Davon verspricht sich Netflix höhere Einnahmen, doch es sieht eher danach aus, als würde der Schuss nach hinten losgehen und eine Kündigungswelle hervorrufen. Denn: weniger Abonnenten = weniger Einnahmen = geringere Investitionen in hauseigene Filme und Serien = weniger Gründe für ein Netflix-Abonnement = weniger Abonnenten. Eine Abwärtsspirale, die einem der immer noch beliebtesten Streamingdienste erheblich schaden könnte. Zusammengefasst: Der Spruch, denn Netflix im März 2017 auf Twitter verbreitete, ist alles andere als gut gealtert: “Love is sharing a password.”
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Das zweite Rettungsohr ist deutlich weniger kritisch, die Maßnahme wurde allerdings ziemlich schlecht kommuniziert – in kleinen Häppchen und mit viel „möglicherweise“ und „in Zukunft“. Grundsätzlich möchte Netflix ein teils werbefinanziertes Abonnement bieten, das für den Endverbraucher günstiger ausfällt als ein normales Abo. Das klang für mich ursprünglich nach einer guten Idee, bietet sie den Nutzern doch mehr Auswahlmöglichkeiten. Doch auch hier setzte Netflix zuletzt nach und verkündete, dass das werbefinanzierte Modell nicht alle Netflix-Inhalte abdecken wird. Nutzer müssen sich somit nicht nur mit Werbung herumschlagen, sondern können möglicherweise auch die Filme und Serien nicht anschauen, die sie interessieren. Natürlich kann Netflix da teilweise nicht viel machen, da der Streamingdienst nicht an sämtlichen in seiner Video-Bibliothek befindlichen Titeln die Rechte besitzt. Doch Lizenzen hin oder her, aus Nutzersicht würde ich lieber entweder für das volle Abonnement zahlen, oder schlicht zu einem anderen Anbieter wechseln.
Netflix ignoriert sämtliche Kritik
Bei seinem Bestreben, die eigenen Gewinne zu maximieren beziehungsweise ihren Schwund zu minimieren, geht Netflix Risiken ein, ignoriert zeitgleich jedoch stur sämtliche Kritik aus den Reihen der eigenen Abonnenten. Man kann es beispielsweise mögen oder nicht, aber viele Nutzer kritisieren die überaus ausgeprägte Politische Korrektheit des US-Konzerns. Das klingt im ersten Augenblick zwar nach einer Stärke, doch wenn beliebte Charaktere aus Büchern und Spielen zu einer wandelnden Kampfansage an die konservativen Werte verkommen und ansonsten keinerlei Tiefgang mitbringen, dann ist man über das Ziel hinausgeschossen. Und auch die Tatsache, dass Netflix gerne seine Fühler ausstreckt und jährlich zig neue Serien einführt, nur um sie nach einer Staffel wieder abzusetzen, weil diese nicht so ablieferten wie erhofft, ist mit Blick auf die Kundenbindung nicht gerade die beste Strategie.
Was nun kommt, hat Netflix selbst zu verantworten
Unternehmen hören nicht immer auf ihre Nutzer. Das war früher so und es wird in absehbarer Zukunft auch so bleiben. Und daran gibt es grundsätzlich auch nichts auszusetzen. Oftmals haben große Konzerne schlicht den besseren Überblick oder beweisen einen besseren Riecher als ein Otto Normalverbraucher. Doch viele haben sich auf diese Weise auch das Genick gebrochen. Ob Netflix zu den ersteren oder zu den letzteren gehört, wird die Zukunft zeigen. Einen Fehler kann sich der Streaming-Anbieter allerdings nicht erlauben. Nicht angesichts der immer stärker werdenden Konkurrenz.