Ein Messenger, der hundert Millionen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Chats vor fremden Blicken zu schützen, denkt laut darüber nach, Europa Lebewohl zu sagen. Der Grund: Politiker in Brüssel wollen WhatsApp, Signal und Co., Apps, die bislang Privatsphäre großschreiben, dazu zwingen, bei jeder verschickten Nachricht mitzulesen, bei jeder Sprachnachricht mitzuhören, bei jedem Bild mitzuschauen. Und das, bevor überhaupt verschlüsselt wird. Klingt nach Science-Fiction, ist aber ein sehr konkreter Gesetzesentwurf.
WhatsApp-Konkurrent will abhauen
Im Zentrum der Debatte steht WhatsApp-Konkurrent Signal. Meredith Whittaker, Präsidentin des US-Unternehmens, hat klargemacht, dass sie nicht mitspielt: „Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung und unsere Datenschutzgarantien zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir leider die Entscheidung treffen, den Markt zu verlassen.“ Signal, berühmt für seine strikte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, würde also lieber Millionen europäische Nutzer zurücklassen, als eine Hintertür einzubauen.
Das Vorhaben trägt in Brüssel den euphemistischen Namen „Chatkontrolle“. Offiziell geht es um den Kampf gegen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern. Der Plan: Anbieter wie WhatsApp, Telegram, Threema – und eben Signal – sollen Inhalte auf Nutzergeräten scannen, bevor sie verschlüsselt und abgeschickt werden. Technisch hieße das: Jeder Anhang, jeder Text, jede Sprachnachricht läuft durch eine Art digitale Schleuse, die nach verdächtigem Material sucht.
Bedrohung seitens Politik und KI
Befürworter nennen es Kinderschutz, Kritiker Totalüberwachung. Das EU-Parlament hat die Pläne vorerst abgelehnt – quer durch alle Fraktionen. Doch im Rat der Mitgliedstaaten steht die Mehrheit eher auf der Seite der Befürworter. Deutschland bremst bislang. Allerdings enthält der Koalitionsvertrag der Bundesregierung nur ein „grundsätzliches“ Bekenntnis zum Schutz privater Kommunikation. Dieses kleine Wort lässt reichlich Spielraum für Ausnahmen. Und unter der aktuellen Ratspräsidentschaft Dänemarks könnten die Karten bald neu gemischt werden.
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Für Nutzer hieße ein Rückzug von Signal aus Europa: weniger Auswahl, weniger sichere Alternativen. Denn während WhatsApp seit Jahren zu Meta gehört und Metadaten sammelt, Telegram mehr ein Clubhaus für alles Mögliche ist und Threema vergleichsweise klein, war Signal bislang die erste Adresse für alle, die Privatsphäre wirklich ernst meinten.
Whittaker warnt außerdem vor einer weiteren Bedrohung: KI-Agenten. Software-Roboter, die Termine vereinbaren, Restaurants buchen oder gleich den Kalender verwalten. Um das zu tun, wollen diese Agenten Zugriff auf fast alles: Mails, Messenger, Kreditkarten. „Diese KI-Agenten verlangen enorme Zugriffsmöglichkeiten und nahezu unbegrenzte Berechtigungen“, sagt Whittaker. Die Gefahr: ein trojanisches Pferd, das sich in Apps einnistet und sensible Daten abschöpft. Ihrer Ansicht nach liegt die Verantwortung bei den großen Betriebssystem-Herstellern: Apple, Google, Microsoft. Sie müssten Schutzmechanismen einbauen, die verhindern, dass KI-Agenten einfach überall mitlesen.
Wie geht es weiter?
Noch ist unklar, ob die EU das Vorhaben durchdrückt. Fest steht: Wer an der Verschlüsselung rüttelt, rüttelt am Fundament der digitalen Kommunikation. Und genau hier wird es unangenehm: Es gibt keine „gute“ Hintertür. Einmal eingebaut, steht sie auch den Falschen offen – egal, ob Polizei, Geheimdienste oder Kriminelle. Signal will sich nicht daran beteiligen. Die Frage ist: Will Europa es riskieren, den Dienst zu verlieren, der bisher am konsequentesten den Schutz privater Kommunikation garantiert?