Mit der Nevermore Academy ist es ein bisschen wie bei Harry Potter: Jedes Schuljahr bringt neue Abenteuer und ein neues Buch – oder in diesem Fall eben eine neue Staffel. Und sobald Wednesday wieder durch die altehrwürdigen Flure von Nevermore schreitet, fällt dir vielleicht noch eine weitere Parallele zum berühmtesten Zauberer dieser Welt auf: Auch der siebte Band seines Abenteuers kam zweigeteilt ins Kino.
Bei TV-Serien müssen wir uns mittlerweile wohl an diesen unschönen Trend gewöhnen, keine komplette Staffel am Stück zu bekommen. Netflix hat uns das erst neulich mit den Staffeln 2 und 3 von Squid Game gezeigt – die eigentlich nur eine einzige Staffel sind. Jetzt triffst du also auch bei der 2. Staffel von Wednesday auf eine harte Teilung.
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Kommen wir aber lieber zu den angenehmeren Dingen: Ich habe mich in meine dunklen Gemäuer zurückgezogen und in einer langen Nacht die vier Folgen der ersten Staffelhälfte von Wednesday für dich durchgeschaut. Keine Sorge, hier gibt’s keine Spoiler.
Zwei der neuen, jeweils etwa 60 Minuten langen Episoden (Folge 1 und 4) hat wieder Tim Burton inszeniert. Schon in Staffel 1 tat seine Handschrift der Atmosphäre und Optik spürbar gut. Auch in der zweiten Hälfte wird er erneut zwei Folgen übernehmen.
Ich finde sogar, die neuen Folgen sind noch ein Stück morbider, noch stärker durchtränkt von Horror – insgesamt also deutlich düsterer. So düster, dass du dir insgeheim vielleicht wünschst, Netflix hätte die Staffel doch lieber im Herbst pünktlich zu Halloween serviert.
Wie auch immer: Wednesday (wieder großartig gespielt von Jenna Ortega) ist zurück und startet ins neue Schuljahr genau so, wie sie das letzte beendet hat – mit Ermittlungen in einem düsteren Fall. Eine Sache ist jedoch neu: In einer Schule, die voll von Außenseitern ist, ist sie plötzlich der absolute Star. Eine Rolle, die ihr – wenig überraschend – so gar nicht passt.
Viel Neues in Nevermore
Alles, was in der Horror-Komödie schon 2022 funktionierte (und auch in Serien wie Stranger Things super läuft), zieht auch jetzt wieder. Ich rede vom wilden Genre-Mix: Horror trifft auf Zauber-Fantasy im Harry-Potter-Stil, gemischt mit Krimi- und Coming-of-Age-Elementen – und dazu immer eine Prise zynischer Humor.
Zwischendurch wirst du auf Anspielungen an die ganz alten Addams-Comics stoßen, genauso wie auf Anspielungen an die filmischen Vorgänger. Außerdem rückt die restliche Addams Family deutlich stärker ins Rampenlicht – sie ist nicht mehr nur schmückendes Beiwerk. Auch im Cast hat sich einiges getan: Steve Buscemi übernimmt den Posten des Direktors der Nevermore Academy – und das wirklich überzeugend. Optisch liefert er dabei eine 1A-Kopie von Edgar Allan Poe ab.
Nicht mehr dabei ist dagegen Xavier, der in Staffel 1 noch eine große Rolle spielte. Nach (nie bestätigten) Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gegen Schauspieler Percy Hynes White wurde die Figur kurzerhand aus der Serie geschrieben. Erzählerisch wird das so elegant gelöst, dass es keinen harten Bruch gibt. Neu begrüßen wir dagegen Billie Piper als Lehrerin, Wednesdays Grandma Frump (gespielt von Joanna Lumley) und einige weitere frische Gesichter.
Besonders erwähnenswert ist Evie Templeton als Agnes DeMille – eine Art detektivischer Sidekick für Wednesday. Ihre überschwängliche Verehrung und ständigen Grenzüberschreitungen können zwar nerven, aber ihre Darstellung ist für mein Empfinden richtig gut gelungen und erweitert den Cast um eine spannende Facette.
Wednesday 2: Zu viel des Guten?
Xaviers Fehlen merkst du kaum – vor allem, weil in den neuen Folgen so unglaublich viel passiert. Aus Staffel 1 trägt Wednesday noch immer die Mission mit sich herum, ihren Stalker zu enttarnen. Dazu kommen neue Mordfälle, ein frisches Liebesdreieck und das Rätsel um LOIS. Du erlebst, wie sie sich um Enid sorgt, mit ihren Kräften (und ihrer Mutter) kämpft und – ach ja – Tyler alias Hyde muss ja auch noch irgendwie unter Kontrolle gebracht werden.
Das ist schon eine Menge Holz für unsere sympathische Außenseiterin, aber die Macher belassen es natürlich nicht dabei. Es gibt eine ganze Reihe an Side-Quests, die ebenfalls Gewicht bekommen. So hat Wednesdays Bruder Pugsley, mittlerweile ebenfalls Schüler in Nevermore, seine ganz eigene Geschichte rund um „Schlürfie“.
Und da sind wir auch schon bei den Dingen, die mir weniger gefallen haben. Der Cast – mit Emma Myers als Wednesdays Mitbewohnerin Enid, Catherine Zeta-Jones und Luis Guzmán als Eltern, oder Onkel Fester (Fred Armisen) – ist wieder großartig besetzt. Die Figuren dürfen sich in dieser Staffel spürbar stärker entfalten. Bis auf eine Ausnahme: Pugsley (Isaac Ordonez).
Nicht falsch verstehen – er spielt die Rolle nicht schlecht. Aber seine Auftritte reißen mich jedes Mal wieder aus der Geschichte. Generell habe ich den Eindruck, dass es diesmal ein paar Handlungsstränge zu viel gibt. Das ist zwar toll, um den Figuren mehr Leben einzuhauchen, doch erzählerisch treten manche Elemente auf der Stelle und lenken von der eigentlichen Story ab. Jetzt bleibt die Frage, ob in den letzten vier Folgen alle diese Fäden noch sinnvoll verknüpft werden.
Mein Eindruck
Müsste ich den neuen Folgen eine Schulnote geben, würde sie wohl minimal unter Staffel 1 liegen – also vielleicht eher eine 2+ statt einer glatten 1. Ja, das ist Meckern auf hohem Niveau. Charaktere wie Enid bekommen diesmal deutlich mehr Tiefe, und mit Neuzugängen wie der rothaarigen Nervensäge Agnes kommt frischer Wind ins Spiel.
Jenna Ortega brilliert wieder als Wednesday Addams und wirkt einfach, als wäre sie für diese Rolle geboren. Dazu kommen unzählige eindrucksvolle Bilder – so viele, dass ich mich immer wieder dabei ertappte, einzelne Szenen als Standbild sehen oder am liebsten sogar ausdrucken zu wollen. Es ist nicht nur, aber eben auch Tim Burtons Handschrift, die Wednesday zu einem visuellen Genuss macht.
Ich feiere zudem, dass es insgesamt düsterer geworden ist und wir mehr Horrorelemente geboten bekommen. Allerdings hätte die Story gern etwas straffer erzählt werden dürfen. Oder anders gesagt: Es passieren mir zu viele Dinge gleichzeitig. Jetzt liegen noch vier Folgen vor uns, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen.
Und damit wären wir beim nächsten Nervfaktor: diese Zweiteilung der Staffel! Am Ende bekommst du einen fetten, aber im Grunde unnötigen Cliffhanger serviert, der es gar nicht gebraucht hätte. Aber wie bei Squid Game gilt: Ein echtes Fazit wäre jetzt unfair – schließlich ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt.
Also: Mach’s dir gemütlich, gönn dir die ersten vier Folgen der aktuellen Staffel und – da wir sowieso bis zum 3. September auf die fehlenden Episoden warten müssen – erzähl mir mal, wie dir die neuen Wednesday-Abenteuer gefallen.