Investitionsstrategien für ein gesamtes Bundesland sollten sich auf verlässliche Daten stützen, um das gewünschte Ergebnis überhaupt erzielen zu können. Doch ausgerechnet das ist bei einem aktuellen Bericht der Bundesregierung fragwürdig – dabei sollte er die Sicherheit des Stromnetzes gewährleisten. Ausgerechnet eine wichtige Komponente, die in der Netzstabilität zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde hier nicht nur vernachlässigt. Sie floss sogar in gegenteiliger Entwicklung in die Grundlage ein.
Das steckt hinter dem Versorgungsbericht der Bundesnetzagentur
Aktuell gehen schockierende Zahlen durch die Fachpresse. Denn das Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte vor kurzem einen Bericht der Bundesnetzagentur (BNetzA), den sogenannten „Versorgungssicherheitsbericht“. Er modelliert den zukünftigen Strombedarf in Deutschland und sollte unter anderem als Grundlage dienen, um den notwendigen Bedarf an weiteren Gaskraftwerken zur Netzreserve abzuschätzen. Ursprünglich war dieser Bericht eigentlich schon seit Ende Oktober 2024 zur Abgabe im Wirtschaftsministerium fällig. Augenscheinlich befand er sich seitdem dort, ohne für die Öffentlichkeit zugänglich zu werden. Der nun veröffentlichte Bericht enthält zudem einige Formulierungsänderungen und Korrekturen, die nachträglich in das Dokument einflossen.
So weit, so verständlich. Doch ausgerechnet eine wichtige Komponente, die das Stromnetz der Zukunft unweigerlich stark prägen wird, findet darin kaum Berücksichtigung. Im Gegenteil: Tatsächlich geht das verwendete Modell für das Jahr 2035 nicht nur von einem ausbleibenden Wachstum aus, sondern geht von einer geringeren Batteriespeicherleistung aus, als wir sie bereits im September 2025 vorliegen haben. Mancher erahnt es vielleicht bereits: die Rede ist von Stromspeichern am Energiemarkt. Diese sind über die vergangenen Jahre deutlich in ihren Anschaffungskosten gesunken.
So sehr, dass sogar private Investoren bereits in Großstromspeicher für Deutschland investieren, weil sich die Projekte auch ohne öffentliche Gelder als wirtschaftlich rentabel erwiesen haben. Ein Effekt, der sich mit der Aussicht auf günstige Salzbatterien, wie sie CATL in diesem Jahr angekündigt hat, noch verstärken dürfte. Folglich: Es ist nicht nur davon auszugehen, dass das bereits aktuelle Niveau an Stromspeichern auf dem Markt gehalten wird. Auch in den kommenden Jahren dürften immer mehr Stromspeicher an das Stromnetz angeschlossen werden und so eine tragende Rolle in der Energiewende spielen.
Teure Fehlinvestition drohen: Warum Deutschland keine 71 Gaskraftwerke benötigt
Wie also soll ein Bericht, der diese Entwicklung gar nicht einkalkuliert, ein vergessliches Ergebnis für die Energiewende in Deutschland liefern? Damit die Prognose von rund zwei Gigawatt bis 2035 erhalten bliebe, müssten bis dahin praktisch keine größeren Stromspeichersysteme mehr ans Stromnetz gehen. Dabei sind schon jetzt deutlich mehr Anschlussbegehren bei Netzbetreibern eingegangen. Allein im vergangenen November beliefen sich diese Anfragen auf 161 Gigawattstunden an Speicherkapazität. Selbst wenn nur ein Bruchteil dieser Anfragen umgesetzt würde, lägen wir 2035 noch immer weit über diesen zwei Gigawatt, die der Bericht annimmt.
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Wie fragwürdig das ist, haben offenbar auch die Verfasser des Berichts während seiner Ausarbeitung bereits erkannt. Denn in einer Fußnote vermerken sie „Aktuell zeichnet sich in der Realität ein voranschreitender Zubau von stationären Batteriespeichersystemen ab.“ Folglich war ihnen bereits bewusst, dass die Annahmen noch während der Ausarbeitung des Modells bereits grundlegend geändert worden sind. Hier wäre wohl eine Verlängerung für den Bericht und eine neue Ausrichtung sinnvoll und notwendig gewesen. Selbst wenn damit riskiert worden wäre, die Frist zum Oktober 2024 hin zu verpassen. Laut BNetzA-Bericht wären bis 2035 zwischen 22 und 35,5 Gigawatt an zusätzlichen steuerbaren Kraftwerken notwendig.
In der Realität bedeutet das: hier ist von modernen Gaskraftwerken die Rede. Je nach Größe der jeweiligen Anlage käme das etwa 44 bis 71 neuen Gaskraftwerken der 500-Megawatt-Klasse gleich. Eine riesige Anzahl an Kraftwerken, die mit hohen Energiekosten verbunden wären. Und garantiert mit einer weiteren Abhängigkeit von fossilen Brennträger, die Deutschland wiederum in einer größeren Abhängigkeit vom Ausland halten.
Die Realität liegt heute schon vom Modell entfernt
Dabei dürfte die Realität eine vollkommen andere sein. Natürlich ist es nicht möglich, auf weitere Gaskraftwerke zu verzichten. Zumindest nicht so lange nicht Salzbatterien erschwinglich genug geworden sind, um sie in riesigen Großstromspeichern flächendeckend nutzen zu können. Oder ein marktreifer Durchbruch zur günstigen Fertigung von Wasserstoff in Deutschland zur Anwendung gelangt. Die erneuerbaren Energien können mit aktuellen Großstromspeichern nicht sämtliche Dunkelflauten überbrücken. Kürzere ließen sich mit den Speichersystemen sicherlich abfangen. Doch insbesondere längere Phasen benötigen den verlässlichen Strom auf Abruf. Selbst eine Flexibilisierung des Stroms bei Industrie und privaten Haushalten kann hier nicht für genügend Luft im Stromsystem sorgen.
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Kurzum: Ja, Deutschland muss mehr Gaskraftwerke errichten. Doch bevor die Aufträge für 71 teure Anlagen vergeben werden, von denen später nur ein Bruchteil tatsächlich in einer hohen Auslastung läuft, sollte eine erneute Prüfung erfolgen, wie sich der Strommarkt im Hinblick auf mehr Batteriespeichern entwickelt. Die tatsächlich notwendige Zahl dürfte weit unter der geforderten liegen und somit auch mit weniger Kosten für Energieversorger verbunden sein. Wie viele tatsächlich notwendig sein, kann ich heute nicht abschätzen. Auch dürfte es angesichts der vielen Veränderungen in der Stromspeicherfertigung schwierig werden, verlässliche Zahlen für die Prognose heranzuziehen.
Modell muss angepasst werden, um teure Stromkosten zu vermeiden
Doch ein Modell, das schon heute absehbare Entwicklungen nicht ausreichend berücksichtigt, kann nur ein falsches Ergebnis liefern. Und eine Regierung, die ihm folgt, ohne die Berechnungen rechtzeitig anzupassen, riskiert damit exorbitant hohe Strompreise für Verbraucher. Denn jedes gebaute Gaskraftwerk zur Grundsicherung wird eines der teuersten werden, die überhaupt zukünftig an unserem Stromnetz angeschlossen sind. Nicht nur, weil die Brennstoffe zu ihrer Betreibung teuer bleiben, sondern ebenso, weil mit jedem Unternehmen, das in ein Grundlastkraftwerk investiert, Verträge abgeschlossen werden, die deren Wirtschaftlichkeit sicherstellen soll. Ein teures Geschäft, das im Ende die Verbraucher über den Strompreis finanzieren werden.